Nachdem Gott die Welt erschaffen hatte, sah er auf das Bergell hinab. Es war Winter und Gott sah ein dunkles, schattiges Tal. Gott fand, dass die Bergeller ein wenig Pech hatten mit ihrem Tal. Zum Ausgleich schenkte er ihnen die Familie Giacometti.
Es ist ein hübsches Märchen, das Giacomo Dolfi, Patensohn von Alberto Giacometti, zu Beginn des Films erzählt. Und es gibt den Ton vor: Wie ein Märchen wirkt auch der Film über die Künstlerfamilie Giacometti. Ein Märchen voller Glück und Schönheit. Aber auch mit dunklen Abgründen.
Sehnsucht nach dem Paradies der Kindheit
Der Film der Engadiner Regisseurin Susanna Fanzun erzählt von jungen Männern, die ausziehen, um die Kunst, die Liebe und den Sinn des Lebens zu finden.
Der Vater, Giovanni, findet alles im heimischen Bergell, wohin er nach einigen Lehr- und Wanderjahren zurückkehrt, um zu heiraten, vier Kinder zu zeugen und ein erfolgreicher Maler zu werden. Die Söhne treibt es hinaus.
Der Film schaut vor allem auf Alberto: Der berühmteste Spross der Familie lässt sich gemeinsam mit seinem Bruder Diego in Paris nieder. Die Verbindung zur Familie bleibt eng. In den ersten Jahren werden die beiden noch von den Eltern unterstützt. Doch auch als sie erfolgreicher und finanziell unabhängiger werden, bleibt die Sehnsucht nach dem Paradies der Kindheit.
Ein Familiengeheimnis, das eins bleibt
Man sehnt sich mit, wenn man den Film schaut: Der Film schwelgt in herrlichen Landschaftsaufnahmen: schroffe Berge, verschneite Hütten, blühende Bäume. Dazwischen Interviews mit Weggefährten. Fotografien der Familie Giacometti. Gemälde, Skulpturen. Und einige sparsam inszenierte Szenen, die einen gedeckten Tisch zeigen und eine Frau am Herd, Kinder um sie herum. Heimelige Wärme.
Das Zentrum dieser Familienidylle ist Annetta. Die Frau, die Mutter. Energisch und klug, bringt sie ihren Mann Giovanni auf den Weg zum Erfolg, unterstützt ihre Söhne. Doch wer ist diese Annetta? Die Tochter eines Lehrers aus Borgonovo. Vielmehr erfährt man nicht. Annetta bleibt ein dunkler Fleck. Von dem eine zwingende Kraft ausgeht.
Annetta und Annette
Noch als Erwachsener hatte Alberto grossen Respekt vor seiner Mutter. Andere Frauen haben es schwer in diesem mutterdominierten Familien-Idyll. Alberto Giacometti heiratet mit Ende 40. Wie schwierig diese Ehe für Annette, die junge Frau Albertos, wird, deutet der Film nur an.
Besonders schwierig wird es für Annette nach Alberto Giacomettis Tod. Es gibt kein Testament. Die Ehefrau wird Alleinerbin. Vor allem Albertos Bruder Diego ist entsetzt über diese Wendung der Dinge und beklagt sich bei Freunden darüber. Die Fotografin Sabine Weiss, eine Freundin Annette Giacomettis, erzählt hingegen, die Familie Giacometti habe versucht, Annette in die Psychiatrie abzuschieben.
Schwere Vorwürfe, auf die der Film allerdings nicht weiter eingeht. Er schaut einmal kurz in den Abgrund – und zieht dann langsam und schwelgerisch weiter.
Kinostart: 19.10.2023