Ein Rabbi hält in einer Synagoge in London eine Predigt über den freien Willen. Noch während seiner Rede bricht er zusammen und stirbt. So beginnt das Drama «Disobedience», das auf dem Roman von Naomi Aldermann basiert und vom chilenischen Regisseur Sebastián Lelio verfilmt wurde.
Die Tochter des Rabbis heisst Ronit Krushka (Rachel Weisz). Vor Jahren hat sie die streng orthodox-jüdische Familie verlassen und lebt als Fotografin in New York. Für die Beerdigung ihres Vaters kehrt sie nach London zurück.
Hier trifft sie ihre Teenager-Liebe wieder: Esti Kuperman (Rachel McAdams). Die hat mittlerweile einen Mann geheiratet und führt ein strikt religiöses Leben. Das Feuer zwischen den beiden Frauen ist schnell wieder entfacht. Aber Homosexualität kann in der jüdischen Gemeinde nicht ausgelebt werden.
Ihre Liebe bleibt nicht lange geheim. Auf einem Tennisplatz küssen sich die beiden Frauen und werden von einem jüdischen Ehepaar entdeckt. Dieses meldet den Vorfall Estis Chefin. Am nächsten Tag muss Esti vorsprechen.
Hilfe für homosexuelle Paare
Zwei Menschen des gleichen Geschlechts, die sich lieben und auch noch der streng orthodoxen Community angehören. Eine Story, die es nur im Film gibt? Nein: Die Geschichte in «Disobedience» kommt häufiger vor, als man denkt. Deshalb gibt es mittlerweile verschiedene Organisationen, die sich um jüdische Homosexuelle kümmern.
Zum Beispiel die Non-Profit-Organisation Eshel. Sie unterstützt Schwule und Lesben, die wegen ihrer Sexualität aus ihren Familien und Gemeinden ausgestossen worden sind.
Oder die israelische Organisation Bat Kol, was «Tochter der Stimme», aber traditionell auch «Stimme Gottes» heissen kann. Sie hilft religiösen, lesbischen Frauen, ihre Sexualität mit ihrem Glauben zu vereinbaren. Sie unterstützt Frauen, ihre gleichgeschlechtliche Liebe auszuleben und gleichzeitig ihre Kinder jüdisch aufzuziehen.
Homosexualität ist ein grosses Tabu in orthodoxen und ultra-orthodoxen Milieus, sei es in Israel, in London oder New York. Die Liebe zwischen gleichgeschlechtlichen Paaren wird traditionell als Verstoss gegen das Gebot der Fruchtbarkeit verstanden. So steht es im Schulchan Aruch, einer Zusammenfassung religiöser Vorschriften des Judentums.
Aber schon in der Tora finden sich Verse gegen männliche Homosexualität, wie etwa: «Du sollst nicht bei einem Mann liegen wie bei einer Frau; es ist ein Gräuel.» (Lev 18,22)
Therapie gegen gleichgeschlechtliche Liebe
Für alle orthodoxen Juden gilt eine Heiratspflicht. Auch von homosexuellen Menschen wird verlangt, dass sie ein heterosexuelles Leben führen. Schwule oder Lesben, die sich beispielsweise beim Rabbi als homosexuell outen, werden oft zu einem Therapeuten geschickt, der im Rahmen der orthodoxen Lehre arbeitet. Dort wird ihnen gesagt, dass ihre Sexualität nicht mit der jüdischen Lebensweise vereinbar sei.
Die Folge ist, dass die Menschen ihre Sexualität nicht frei ausleben können. Und wenn doch, werden sie von ihrer Gemeinschaft verstossen, Freunde und Familie brechen den Kontakt ab, und teileweise verlieren sie sogar das Sorgerecht für ihre Kinder.
Sich von Zwängen befreien
«Disobedience» ist ein wichtiger Film, weil er einer Minderheit eine Stimme gibt und ein Tabuthema an die breite Öffentlichkeit bringt. Im Drama spielen sich die gesellschaftlichen Zwänge in der streng orthodoxen Gemeinschaft ab.
Schlussendlich appelliert «Disobedience» aber für sexuelle Selbstbestimmung – ganz egal welcher Religionsgemeinschaft jemand angehört.
Kinostart: 29.11.2018