«The Irishman» beginnt damit, dass sich Regisseur Scorsese selber parodiert. Um Ecken und durch Gänge schlängelt sich die Kamera, ohne Schnitt, in ein Altersheimzimmer, eine sogenannte Plansequenz, wie jene, mit der Scorsese 1990 seinen Mafia-Klassiker «Goodfellas» eröffnet hat.
Bloss landet die Kamera dieses Mal vor einem Rollstuhl, und in dem sitzt Robert De Niro, von der Maskenbildnerin noch etwas über seine 76 Jahre hinaus auf alt und wackelig geschminkt. Er spielt den titelgebenden Irishman, Frank Sheeran, der sich über die nächsten dreieinhalb Stunden an seine Karriere als Weltkriegssoldat, Mafioso und Auftragskiller erinnern wird.
Der Mann, der Wände streicht
Die zweifelhafte Karriere verdankt Frank seiner schnellen Auffassungsgabe. So hat er zum Beispiel früh verstanden, dass ein sogenannter House-Painter die Innenwände einer fremden Wohnung nicht mit dezenter Farbe auffrischt, sondern mit jenem verspritzten Blutrot, das bei einem schnellen Mord eben anfällt.
Und damit beginnt die Rückblende in die Nachkriegszeit der fünfziger Jahre. Der Kriegsheimkehrer Frank verdient als Lastwagenfahrer etwas dazu, indem er einen Teil seiner Ladung unter der Hand verscherbelt. Dabei kommt er in Kontakt mit der Mafia und erweist sich bald als zuverlässiger Mann fürs ganz Grobe.
Verknüpfung mit der realen US-Geschichte
Insbesondere der von Joe Pesci gespielte «Pate» Russell Bufalino wird zum Freund und Förderer des ebenso skrupellosen wie loyalen Frank und vermittelt ihn schliesslich als heimlichen Bodyguard an den allmächtigen Boss der Fernfahrer-Gewerkschaft.
Dieser Jimmy Hoffa (Al Pacino), der grosse Gegner des Kennedy Clans, der Nixon unterstützte und von Präsident John F. Kennedys Bruder Robert als oberstem Staatsanwalt vorübergehend aus dem Verkehr gezogen wurde, steht für die unlösbare Verknotung von Gewerkschaftsmacht, Politik und organisiertem Verbrechen in den USA.
Nun waren Martin Scorseses Gangsterfilme schon immer Lektionen in moderner US-Geschichte. Aber noch keiner von ihnen, nicht einmal die Las-Vegas-Analyse «Casino», sprach dermassen Klartext. Scorsese geht mit «The Irishman» so weit, das nie aufgeklärte Verschwinden von Jimmy Hoffa im Juli 1975 zu erklären. Mit, logisch, House-Painting.
Alte Stars, frisch verjüngt
Das ergibt durchaus spannende dreieinhalb Stunden, die allerdings vor allem vom Wiedersehen mit bekannten Darstellern und Figuren leben. «The Irishman» ist eine Art «Best of Scorsese», und ein Film mit etlichen Gimmicks.
Dazu gehört auch die immens teure digitale Verjüngung der Scorsese-Stars, die etwa beim Gesicht von Robert De Niro ganz gut funktioniert, aber den Darstellern in den Rückblenden halt doch nicht zu einer jüngeren Körperhaltung verhilft.
Damit ist «The Irishman» kein neues, bahnbrechendes Werk von Martin Scorsese, sondern die Verknüpfung seines Gesamtwerkes mit jenem filmhistorischen Korpus, zu dem auch Francis Ford Coppolas «Godfather»-Trilogie gehört: Jene ganze Jahrzehnte überspannenden Kino-Epen, über die sich die USA tatsächlich zu einem guten Teil definieren.
Kinostart: 14.11.2019