Sie sind erst 20 Jahre alt, aufmüpfig und wild: Die sechs Freunde Bäne, Ribi, Stüfi, Yves, Eggi und Brünu wachsen im Berner Tscharnergut, der ersten Hochhaussiedlung der Schweiz, auf. Und sie inszenieren sich 1979 im Film «Dr Tscharniblues» selbst – mit einer Super-8-Handkamera.
«Dr Tscharniblues»: ein filmisches Ur-Selfie
Weil ihnen das Geld ausgeht, bleiben gewisse Stellen einfach schwarz. An denen reden sie ungefiltert über ihre Erwartungen und Revoluzzer-Träume.
«Es war ein filmisches Ur-Selfie», sagt Aron Nick, Regisseur des Nachfolgefilms «Tscharniblues II»: «Wenn ich mich heute mit meinem Handy selber filme, bin ich einer von Millionen. Damals war es noch etwas Besonderes.»
Der wilde Streifen war unterlegt mit selber geschriebenen berndeutschen Protestsongs und nahm die Aufbruchstimmung der 1980er-Jahre vorweg.
Ganz nah an den Protagonisten
Jetzt, 40 Jahre später, hat der Berner Regisseur Aron Nick die Protagonisten von damals im Tscharnergut nochmals zusammengetrommelt.
Es sind dies sein Vater, sein Götti und ihre Freunde. Ihnen allen ist Aron Nick nahe. Denn sie wurden zu seiner Familie als er, erst 13 Jahre alt, seine Mutter verlor.
Aron Nick sagt dazu: «Ich bin mit ihnen aufgewachsen, deshalb wollte ich in meinem Film ganz genau wissen, was das Leben mit ihnen gemacht hat, wo ihre Träume geblieben sind. Ob sie da sind, wo sie hinwollten und ob das überhaupt wichtig ist».
Schauspieler Stefan Kurt ist einer von ihnen
Die fünf Freunde haben dem 34-Jährigen intime Einblicke in ihre Leben gewährt. Leben voller Brüche, in denen das Aufmüpfige zwar weitgehend verschwunden, das Verspielte aber geblieben ist.
Drei der Protagonisten sind Lehrer, Filmemacher und Musiker geworden, Stefan «Stüfi» Kurt ist heute einer der bekanntesten Schauspieler der Schweiz. Christoph «Eggi» Eggimann ist im Büro gelandet und sagt von sich, er sei durchs Band erfolglos. Trotzdem hat er sich seine Träume erhalten.
«Brünu», der Regisseur des ersten Films, war zeitweise geplagt von psychischen Problemen und Obdachlosigkeit. Er ist 2014 gestorben.
Manchmal spielt das Leben eben anders als geplant
Aron Nick erkennt in «Tscharniblues II»: «Man kann zwar Pläne machen, aber manchmal spielt das Leben eben anders. Man kann nicht immer alles im Griff haben.»
Diese Erkenntnis sei gerade in einer Zeit wichtig, in der man sich dauernd selbst optimiere: «Ich bin in einer Generation aufgewachsen, wo man früh lernt, sein Leben zu planen und zu optimieren. Auf Facebook präsentiert man sich nur gut. Es gibt keine Brüche.»
Loblied auf die Freundschaft
Wichtig sei, wie man kollektiv und individuell mit Schicksalsschlägen umgehe, ist Aron Nick überzeugt. Und da haben seine Protagonisten einen gemeinsamen Weg gefunden: Ihre Freundschaft zieht sich durch ihr ganzes Leben und gibt ihnen Halt.
«Tscharniblues II» ist ein starker Film geworden. Kein wilder und rebellischer wie der erste, aber ein persönlicher, warmherziger und ehrlicher.
Kinostart: 11.4.2019