«Wo sind wir? Wir sind ja gar nicht zuhause!», ruft der weisshaarige Gentleman aus dem Wohnmobil heraus zu seiner Frau.
«Nein, Schatz, wir sind in Pennsylvania», antwortet diese. «Was zum Teufel machen wir in Pennsylvania?», fragt er zurück.
«The Leisure Seeker» heisst der Roman des Amerikaners Michael Zadoorian. Es ist die bittersüsse Geschichte von John und Ella Spencer, die ihrer Krebserkrankung und seiner zunehmenden Demenz trotzen, indem sie noch ein letztes Mal mit ihrem alten Wohnmobil in Richtung Süden aufbrechen.
John kennt seine Frau nicht mehr
«Leisure Seeker», Entspannungs-Sucher, nennen sie ihr geliebtes Winnebago-Wohnmobil. «Ich fahre mit John nach Key West in Florida, zum Haus von Hemingway», erklärt Ella allen, die es wissen wollen. Was sie nicht allen sofort erklärt: Der einstige Lehrer für Literatur und Hemingway-Spezialist ist dabei, seine Erinnerungen zu verlieren.
Seine Demenz ist so weit fortgeschritten, dass er zum Beispiel an einem Morgen seine Frau weckt und fragt, wo Ella sei, seine wunderschöne, 22-jährige Frau.
«Ich bin Ella», antwortet diese, «aber wo ist mein John? Der war charmant und liebenswert… jemand hat ihn mir gestohlen», sagt Ella unter Tränen, worauf John einen klaren Moment hat und meint: «Was Dir gestohlen wurde, wurde auch mir gestohlen.»
Helen Mirren und Donald Sutherland: grossartig
Momente des wehmütigen Glücks wechseln sich ab mit Augenblicken des komischen Schreckens. Etwa, wenn John einfach losfährt und seine Frau an der Tankstelle vergisst. Derweil versuchen die erwachsenen Kinder der beiden verzweifelt herauszufinden, wohin ihre fragilen Eltern tatsächlich unterwegs sein könnten.
Mit derart grossartigen Schauspielern wie Helen Mirren und Donald Sutherland lässt sich die Wirklichkeit bannen, biegen, beugen und strecken. Und das funktioniert darum, weil die beiden mit jeder Geste, jedem Blick, jedem Lächeln ganz nahe am Leben bleiben.
Mehr als ein Feelgood-Movie
Es ist immer nur jener entscheidende, kleine Rest an Künstlichkeit, an dramaturgischer Wunscherfüllung oder Sentimentalität, der ihre Kunst über den Alltag hinaus in die Magie des Kinos erhebt.
Den beiden gestandenen Schauspieltalenten verdankt der italienische Regisseur Paolo Virzi, dass seine Romanverfilmung nicht bloss ein echtes Feelgood-Movie nach allen Regeln der Hollywood-Kunst geworden ist. «Ella & John» ist zugleich ein sorgfältig gebauter Film, der sein Thema täuschend leicht, aber gründlich an sein Publikum bringt.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 8.3.2018, 17.20 Uhr