Am Anfang deutete bei «Everything Everywhere All at Once» wenig auf eine Erfolgsstory hin: Die wunderlichen Abenteuer einer Waschsalon-Besitzerin, die mit der Steuerbehörde ringt, starteten in Amerika nur auf zehn Leinwänden.
Doch dank hymnischer Rezensionen waren die Kinosäle bereits während der ersten Vorführungen voll. Dank Mund-zu-Mund-Propaganda blieben sie es. Und dank exponentiell steigender Nachfrage schoss die Zahl der Kinos, die den Film anboten, in die Höhe. Inzwischen läuft «Everything Everywhere All at Once» auf über 3000 US-Leinwänden und ein Ende des Booms ist nicht in Sicht.
84 Millionen Dollar hat der Hit aus dem Hause A24, das sich auf Independent-Filme mit Multiplex-Potential spezialisiert hat, bislang eingespielt. «Everything Everywhere All at Once» ist damit die lukrativste A24-Produktion aller Zeiten. Nicht einmal vielfach prämierte Kassenschlager aus der Zeit vor Corona wie «Hereditary», «Lady Bird» oder «Moonlight» erreichten dieses Niveau.
Waschsalon-Betreiberin rettet das Multiversum
Dabei beginnt der Film nicht besonders spektakulär: Evelyn, die Geschäftsführerin eines Waschsalons, kämpft in den USA mit ganz alltäglichen Problemen wie Familienzwist und der Steuererklärung. Es dauert eine Weile, bis die chinesische Einwanderin begreift, dass sie nebenbei auch noch eine Aufgabe von kosmischer Tragweite lösen soll: Sie ist die Einzige, welche die Auslöschung des Multiversums, also unseres Universums und all seiner Parallelwelten, verhindern kann.
Diverse Genres prallen in diesem absurd ambitionierten Kino-Kraftakt aufeinander, was normalerweise in einer filmischen Katastrophe endet. Dass der wild expandierende Erzählkosmos hier nicht kollabiert, ist ein kleines Wunder. Christoph Schelb, Redaktionsleiter der Online-Plattform Outnow, fasst die Vielseitigkeit des Films so zusammen: «Er wird zum Martial-Arts-Spektakel, zum Familiendrama, zur Geschichte eines Generationskonflikts. Da steckt wirklich eine Menge drin: Alles, überall, auf einmal. Der Titel ist alles andere als zufällig.»
Filmfans ermöglichen Schweizer Kinostart
Christoph Schelb hat viel dazu beigetragen, dass das Schweizer Publikum nun in den Genuss des Bilderbogens kommt. Lange sah es infolge der Corona-bedingten Kinokrise nämlich so aus, als ob «Everything Everywhere All at Once» hierzulande gar nicht starten würde. Bis der Online-Journalist gemeinsam mit Yves Blösche vom Verleih Filmcoopi einen «Bettelbrief» nach Amerika schickte. In der Hoffnung, sich auf den letzten Drücker doch noch die Projektions-Rechte an der verrückten US-Produktion zu sichern.
«Normalerweise sind Filmkritiker und Filmverleiher ja Todfeinde», hält Schelb zugespitzt fest: «Der Verleih bringt den Film ins Kino, der Kritiker nimmt ihn auseinander.» Eine Zusammenarbeit gäbe es gewöhnlich nicht. Zu verdanken sei die Kooperation primär den Schweizer Kinofans. Weil diese sich auf Plattformen wie Outnow immer wieder nach dem Filmstart der Independent-Perle erkundigt hätten.
Das Flehen zeigte Wirkung. A 24 liess sich erweichen und so kam es doch noch zum Happy End: «Everything» startet wegen der grossen Nachfrage nun beinahe everywhere.
Eine «Kreativitäts-Explosion» Marke Daniels
Wer den Gang ins Kino wagt, darf sich auf ein Feuerwerk schräger Ideen gefasst machen. Das Regieduo Kwan und Scheinert, das sich in Anspielung auf ihren Vornamen kurz Daniels nennt, bombardiert das Publikum regelrecht mit Reizen und Referenzen. Dass der neuste Film der Macher von «Swiss Army Man» dabei von Kubricks Kunstkino («2001») zu Pixars Mainstream-Kost («Ratatouille») springt, passt perfekt zum intendierten Alles-auf-einmal-Konzept.
Natürlich kann diese «Kreativitäts-Explosion», wie sie Schelb treffend nennt, bei älteren Semestern zu Kopfschmerzen führen. Trotzdem verdient «Everything Everywhere All at Once» auch deren Aufmerksamkeit – dank emotionaler Tiefe und spitzbübischem Charme.
Kinostart: 16.6.2022