Thomas Imbach ist einer der eigenwilligsten und konsequentesten Filmemacher der Deutschschweiz. Seine Filme sind erzählerisch komplexe Kunstwerke und meist mit seiner Biografie verknüpft.
Auch Imbachs jüngster Spielfilm «Glaubenberg», der von der quälenden Liebe der jüngeren Schwester zum älteren Bruder erzählt, ist nicht einfach eine Geschichte.
SRF: «Glaubenberg» erzählt von der Zurückweisung einer Frau durch einen Mann ...
Thomas Imbach: Ja, es ist die Innenansicht einer Obsession, wenn man so will. Es ist die Liebesgeschichte einer jungen Frau zu ihrem Bruder. Lena, ein 16-jähriges Mädchen, entdeckt das andere Geschlecht. Sie versucht, das über ihren Bruder Noah zu machen.
Was mich fasziniert hat, ist, dass diese junge Frau «verrückt» ist. Sie verfolgt diese Liebe obsessiv, ist sich aber gleichzeitig bewusst, was sie da tut.
Eigentlich ist das ja ein romantisches Ideal: die rasende Liebe bis zur Selbstaufgabe.
Es hat einen romantischen Kern, das stimmt. Aber es geht darum, dass man etwas Unmögliches bedingungslos will.
Das ist etwas, das ich auch von mir selber kenne. Der Film ist biografisch veranlagt, obwohl ich die Geschichte neu erfunden habe, um sie überhaupt zu erzählen. Es geht weniger darum, dass das Mädchen unsterblich verliebt ist, sondern dass sie diese Leidenschaft nicht aufgibt.
Spiegelt das auch Ihre Arbeit als Filmemacher, sozusagen eine künstlerische Verarbeitung einer Obsession?
Ja. Meine Aufgabe war ja, diese Figur filmisch zu erzählen. Es geht nicht darum, chronologisch zu erzählen, sondern für die Zuschauer eine Brücke in ihre Innenwelt zu bauen.
Diese Art von Leidenschaft eines jungen Mädchens kennen vielleicht viele und doch sagen sie beim Betrachten des Films: «so krass». Das Besondere ist, dass Lena nicht damit aufhört, obwohl sie weiss, dass es nicht geht. Bis es zum Absturz kommt.
Bei der gesellschaftlich tabuisierten Geschwisterliebe könnte Lena ganz vernünftig sein, und sagen: Das geht einfach nicht. Sie müsste nicht einmal gekränkt sein.
Ich glaube nicht, dass sie gekränkt ist. Klar ist sie enttäuscht und traurig über seine Ablehnung. Aber als Geschwister hat man ein inneres Band, sodass man Zurückweisung wegstecken kann.
Noah sagt: Das geht nicht.
Genau, aber das ist nur der Intellekt. Ein Detail, das die ganze Geschichte folgenschwer macht, ist ihre Aussage: «Vielleicht muss ich mir diesen Wunsch einmal erfüllen können, dann bin ich geheilt».
Das ist die Eröffnung des Teufelskreises. Ich habe dieses Motiv bei Ovid gefunden.
Sie beziehen sich auf Ovids «Metamorphosen»: In der Geschichte von Byblis und Kaulos verwandelt sich die vom Bruder zurückgewiesene Byblis weinend in eine Quelle.
Ja. Eigentlich kommt die Filmgeschichte von mir. Aber nachdem ich gelesen hatte, wie bei Ovid eine ähnliche Geschichte auf sechs Seiten zusammengefasst wird, war ich sehr beeindruckt.
An einer Stelle sagt Byblis sinngemäss: «Es ist völlig klar, dass das nicht funktionieren kann. Aber wenn ich jetzt, nachdem ich den Brief geschrieben habe, meine Avancen zurücknehme, denkt er, ich hätte es nicht ernst gemeint. Dann denkt er, ich sei ein Feigling. Das geht nicht. Also muss ich dranbleiben.»
Sie haben sich früh entschieden, darauf hinzuweisen, dass der Film auch autobiografische Spuren hat. Weshalb?
Weil es mir wichtig war, dass der Stoff eine authentische Herkunft hat und gleichzeitig von einer zweitausend Jahre alten Geschichte inspiriert ist. Diesen Widerspruch wollte ich transparent machen.
Ovid hat mich an mein eigenes Geschwister-Dilemma erinnert. Dieses hat nichts mit Inzest zu tun, aber es ist eine ganz besondere, spannungsreiche Beziehung.
Das Gespräch führte Michael Sennhauser.
Kinostart: 22.11.2018