Schon Tolstoi wusste: Jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich. Bei den Mitgliedern des Gucci-Clans war es der Kampf um Macht, der die Familie ins Verderben trieb.
Dies glaubt zumindest Lady Gaga, die in «House of Gucci» Patrizia Reggiani spielt. Ein arm geborenes Temperamentsbündel, das sich einen Gucci geangelt hatte. Weil es Patrizia an Noblesse mangelte, galt sie familienintern als Underdog – bis sie sich als Wölfin entpuppte.
Gekränkt von der Scheidung, die ihre Liebe nach über 20 Ehejahren angestrebt hatte, heuerte sie zwei Killer an. Was dazu führte, dass Maurizio Gucci 1995 erschossen wurde.
Blind ins geteilte Familienunglück
Eine Tragödie, die niemand kommen sah, wie Lady Gaga im Zoom-Interview erläutert: «Das Streben nach Macht machte die Familie blind. Nur darum konnte Maurizio unbemerkt ermordet werden.»
Schon davor hatte Patrizia im Hause der Guccis munter Zwietracht gesät. Immer in der Absicht, ihre eigene Stellung zu verbessern. So trieb sie ihren Schwager Paolo, der wegen seiner Stillosigkeit belächelt wurde, zu einer eigenen Linie an. Weil sie ahnte, dass dieser kläglich scheitern würde.
Skizziert «House of Gucci» somit – mitten in der Vorweihnachtszeit – das Gegenbild zur glücklichen Familie? Jared Leto, der sich für seine Rolle als Paolo Gucci krass entstellen liess, ist gespalten: «Klar zeigt der Film, dass die eigene Familie die Hölle sein kann. Die Guccis verklagten sich, hassten sich, schrien sich an. Doch dann erschienen sie alle zum Essen, wo sie sich küssten und umarmten. Sie waren einfach ein wilder Haufen.»
Gaga besticht, Leto setzt Akzente
Ein wilder Haufen – das beschreibt auch den Film ganz gut. Denn aus einem Guss ist das fast 160 Minuten lange Epos, das Ridley Scott hier auf die Leinwand wuchtet, beileibe nicht. In Erinnerung bleiben vor allem die Schauspielleistungen. Die brillanten genauso wie die missglückten.
Lady Gaga gelingt es, Patrizia reichlich Liebenswertes abzugewinnen. So fiebert man mit einer Frau mit, die einst in vollem Ernst verkündet hat: «Ich weine lieber in einem Rolls Royce, als glücklich auf einem Fahrrad zu sitzen.»
Ebenfalls nach einer Oscar-Nominierung riecht die Performance von Jared Leto. Doch ist sie auch gut? Da gehen die Meinungen auseinander. Denn so unterhaltsam es sein mag, wie er Paolo mit wildem italienischem Akzent zur Witzfigur stilisiert, so wenig passt die von ihm zur Schau gestellte Camp-Qualität zur dramatischen Tonalität des Rests.
Die Guccis grollen, Reggiani reklamiert
«Beim Vater, Sohn und Haus der Gucci!», sagt Lady Gaga in einer Szene, während sie sich bekreuzigt. Auf den Segen der echten Familie Gucci wird Hollywood verzichten müssen. «Wir sind enttäuscht», liess diese verlauten, da der Film die Identität der Familie ins Lächerliche ziehe. Es wird sogar mit einer Klage gedroht.
Patrizia Reggiani zeigte sich derweil empört über die Tatsache, dass Lady Gaga darauf verzichtet hatte, sie persönlich kennenzulernen. Direkt damit konfrontiert, lieferte uns der Star eine überzeugende Antwort: «Beim Schauen von Interviews mit Patrizia realisierte ich, dass diese Frau berühmt sein möchte. Und zwar für den Tod ihres Mannes. Sie hat eine klare Agenda und von dieser wollte ich mich in keiner Weise beeinflussen lassen.»
Egal wie akkurat Lady Gagas Darbietung letztlich ist: Wer den knalligen Trailer kennt, wird ohnehin kein realitätsnahes Porträt der Fashion-Familie erwarten. Nur ein weinig Trost: Weil man sich beim Anschauen von «House of Gucci» in der eigenen Sippe gleich viel weniger verloren fühlt.
Kinostart: 2. Dezember 2021