Besitzen wir eine unsterbliche Seele? Oder gilt nach dem Tod: Aus die Maus? Über viele Jahre hat Lila Ribi ihre bodenständige Oma mit der existenziellsten aller Fragen konfrontiert. Und immer wieder dieselbe desillusionierende Antwort erhalten: «Das Leben endet am Grabstein.»
Während sich ihre Oma nüchtern auf das nahende Ende vorbereitet, sucht Lila Ribi emsig nach alternativen Sichtweisen. Hoffnung machen der Dokumentarfilmerin besonders Nahtoderfahrungen, wie die emotionalen Schilderungen von der Schwelle zum Jenseits genannt werden. Grosi Greti Aebi hält von diesen dagegen «überhaupt nichts», wie sie auf Nachfrage präzisiert.
Von 91 auf 103 in 89 Minuten
Als Ribi damit begann, ihre unverwüstliche Oma zu filmen, war diese 91 Jahre alt. Damals wusste die Regisseurin, die auch für die Kamera, den Ton und das Drehbuch die Verantwortung übernahm, vieles noch nicht. Die Idee, einen Kinofilm aus den Aufnahmen zu machen, entstand erst nach Gretis 99. Geburtstag. Bis zum Start der Postproduktion verstrichen weitere vier Jahre.
In der anderthalbstündigen Doku, die in Solothurn Premiere feierte, steckt somit die Erfahrung von zwölf Lebensjahren. Greti wird mit fortschreitendem Alter immer gebrechlicher, bleibt geistig aber erstaunlich agil. Nur die wachsende Abhängigkeit von anderen macht ihr, die gerne ihren Garten pflegt, zu schaffen. Sowie ihr Äusseres, das immer weniger den eigenen Ansprüchen genügt: «Vor dem Spiegel schliesse ich die Augen. Weil mir das, was ich sehe, nicht gefällt.»
Das Filmemachen im Blut
«(Im)mortels» ist in erster Linie das berührende Porträt einer (Un)sterblichen. Für Regisseurin Ribi ist es zugleich eine Form von Autotherapie, um sich auf den Tod eines geliebten Menschen vorzubereiten. Verzweifelt versucht sie, sich für das Unvermeidbare zu wappnen: mit Hilfe der Erinnerung, der Selbsterkundung und der (Un)vernunft.
Dass dies in Form eines Films geschieht, leuchtet allen ein, die Ribis Verwandtschaft kennen: Ihr Vater war der renommierte Toningenieur Luc Yersin. Und ihr Onkel kein Geringerer als Yves Yersin, der Schöpfer von «Les petites fugues», einem der erfolgreichsten Schweizer Spielfilme aller Zeiten. In «(Im)mortels» spielen die genannten zwei Männer kaum eine Rolle. Es sind die Frauen, welche diesen Film beseelen.
Gemeint sind damit nicht nur Grosi Greti und ihre Enkelin, sondern auch ein Medium: Christelle Dubois. Diese hört seit einem Autounfall in ihrer Kindheit die Stimmen der Verstorbenen. Glaubt sie zumindest. Genauso fest wie Lila Ribi, wie das effektvolle Ende von «(Im)mortels» klar macht. Darauf angesprochen, sagt die Regisseurin: «Früher war ich überzeugt, dass man sehen muss, um zu glauben. Heute bin ich eher der Meinung, dass man glauben muss, um zu sehen.»
Milder Trost im Übersinnlichen
Ribis spirituelle Reise in die Welt der Toten ist somit alles andere als ergebnisoffen: Die Filmerin macht keinen Hehl daraus, dass sie glauben will. Zugutehalten muss man ihr, dass sie auch die Naturwissenschaft und die Schulmedizin zu Wort kommen lässt.
Zum Beispiel den Neurologen Lukas Imbach, zu dessen Aufgaben es gehört, den Zeitpunkt des Hirntods protokollarisch festzuhalten. Bewusstsein ohne Aktivität im Kopf kann er sich beim besten Willen nicht vorstellen.
Eine Schwester im Geiste findet Imbach in Ribis gewitzter Grossmutter Greti Aebi. Diese macht sich an einer Stelle sogar sanft über die ständige Fragerei ihrer Enkelin lustig: «Lass uns all das auf einer kleinen Wolke besprechen, wenn es so weit ist!»
Kinostart: 14. April 2022