Englische Südküste, 1920er-Jahre. Im Briefkasten von Edith Swan (Olivia Colman) landen Briefe mit beleidigendem Inhalt. Die gläubige Christin, die unverheiratet bei ihren Eltern lebt, zeigt sofort mit dem Zeigefinger auf ihre irische Nachbarin Rose (Jessie Buckley).
Diese ist aufgrund ihrer forschen Art zwar stadtbekannt, bestreitet aber vehement, die Absenderin der bösartigen Botschaften zu sein.
Böse Briefe gab es schon immer
Der Film «Wicked Little Letters» beruhe auf einem wahren Skandal, heisst es. Das ist eigentlich egal, denn in den Zeiten vor dem Internet war es vielerorts gang und gäbe, Verunglimpfungen zu Papier zu bringen und sie signiert oder ungezeichnet unter die Leute zu bringen.
Der Drehbuchautor (und Comedian) Jonny Sweet brauchte nur den passenden Vorfall für seine Idee zu finden.
Freude am Fluchen
Diese Idee war ziemlich einfach: Ein postviktorianisches britisches Küstensetting – in dem es traditionellerweise eher züchtig zugeht – mit derben sprachlichen Entgleisungen aufzupeppen. Und dies fast ausschliesslich aus Frauenmund.
Edith und Rose werden sich aufgrund des herrschenden Verdachts zahlreiche Kraftausdrücke an den Kopf werfen – und weitere, nicht auf den Mund gefallene Frauen werden in das Gekeife einstimmen.
Tatsächlich ist diese Form von Humor bis zu einem gewissen Grad ein Selbstläufer. Man schmunzelt, weil die Vulgarität gut in die Handlung verpackt ist und weil das Timing stimmt. Die Darstellerinnen kosten das Potenzial des Unterfangens munter und energisch aus. Und man bleibt an der Geschichte dran, weil ungeklärt ist: Wer steckt hinter den obszönen Briefen?
Zu früh wird klar, wer’s war
Diesbezüglich wagt der Drehbuchautor ein ungewöhnliches Manöver: Er löst das Rätsel der Urheberschaft in der Filmmitte auf. Das tut er, um die Aufmerksamkeit des Publikums frühzeitig von der Suche nach der schuldigen Person wegzubringen.
Aber der Kniff wirkt wie eine Notlösung. Der Plot ist nicht besonders originell, und ihn erst am Schluss aufzulösen – das hätte für eine Enttäuschung gesorgt.
Stattdessen setzt «Wicked Little Letters» in der zweiten Hälfte vermehrt auf Psychologie. Jetzt, wo die Katze aus dem Sack ist, fühlt der Film den Schicksalen und Beweggründen der Figuren auf den Zahn. Und er betont fleissig Bezüge zur Jetztzeit, in der sprachliches Diffamieren in Kommentarspalten und Netzwerken gang und gäbe ist.
Zu wenig Tiefe
Der vergnügliche Schwung der ersten Filmhälfte bleibt dabei allerdings auf der Strecke. Die Spannung ist weg. Obwohl Edith und Rose bis zum Schluss urkomische Figuren sind, die jederzeit in einem kürzeren TV-Sketch funktionieren könnten, sind sie zu wenig tiefgründig angelegt, um in den dramatischeren Momenten bestehen zu können.
Zur zugänglichsten Figur der Handlung wird vielmehr die Polizistin, die im bizarren Nachbarstreit schlichten soll. Die von Anjana Vasan verkörperte Beamtin wird zwar heftig gemobbt, stemmt ihre undankbare Aufgabe aber mit Weitsicht - und vor allem, ohne ständig verbal unter die Gürtellinie gehen zu müssen. Das macht sie zur wahren Heldin dieses Stücks.
Kinostart am 28.3.2024.