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Film «Kinds of Kindness» lässt das Publikum ratlos zurück
Aus 10 vor 10 vom 03.07.2024.
Bild: Searchlight Pictures abspielen. Laufzeit 4 Minuten 9 Sekunden.

Neu im Kino «Kinds of Kindness»: Das pure Gegenteil von nett in drei Kapiteln

Merkwürdig sind alle Filme von Mr. «Poor Things» Yorgos Lanthimos. Doch diesmal überspannt der Grieche den Bogen massiv.

Unbehagen kann sich wunderbar anfühlen – wenn man im Kino sitzt. Keiner weiss das besser als Regisseur Yorgos Lanthimos, der dieses Gefühl besonders gerne provoziert. Aktuell mit einem Triptychon der Unterwerfung: Emma Stone, Willem Dafoe und Jesse Plemons reiben sich in drei süffisanten Geschichten in dubiosen Machtverhältnissen auf.

Jedes Mitglied des prominenten Schauspiel-Ensembles wechselt von Episode zu Episode die Rolle. Es ist also nicht die Handlung, welche die einzelnen Kapitel von «Kinds of Kindness» verbindet, sondern das Thema. Dreimal unterwerfen sich Individuen voller Inbrunst unter ein gesellschaftliches Hingabesystem: den Beruf, die Ehe und die Religion.

Unterwerfung hoch drei

In der ersten und klar besten Story verkörpert Jesse Plemons einen Mann, der nicht ohne die Anweisungen seines Chefs (Willem Dafoe) leben kann. So bewohnt er ein Haus, das dieser für ihn gekauft hat, mit einer Frau (Hong Chau), die für ihn ausgesucht wurde. Egal ob beim Essen oder beim Sex: Stets folgt er sklavisch dem Stundenplan, den sein reicher Boss für ihn kreiert hat.

Willem Dafoe und Margaret Qualley als manipulatives Liebespaar im ersten Kapitel des Episodenfilms «Kinds of Kindness».
Legende: Sind nicht so nett, wie sie aussehen: Willem Dafoe und Margaret Qualley als manipulatives Paar. Searchlight Pictures

Der blinde Gehorsam endet erst, als er einen wildfremden Menschen töten soll. «The Death of R.M.F.» nennt Lanthimos diese angenehm beunruhigende Mär über Kontrollverlust und Liebesentzug, in der Plemons zur Höchstform aufläuft. In Cannes erntete der 36-Jährige dafür gar den Schauspielerpreis. Doch während Plemons sein Niveau über die volle Laufzeit halten kann, baut der Film bis zu seinem bitteren Ende nach 2 Stunden und 45 Minuten immer mehr ab.

Sogar die Episodentitel spiegeln das zunehmende Abdriften der freigeistigen Anthologie in inhaltliche Beliebigkeit wider. Während in «R.M.F Is Flying» noch eine Fallhöhe steckt, signalisiert die letzte Überschrift «R.M.F. Eats a Sandwich»: Die Sache ist für Lanthimos schon vor dem finalen Kapitel gegessen. Der erhoffte Höhepunkt bleibt aus dramatischer Sicht genauso aus, wie ein Aha-Effekt auf der Bedeutungsebene.

Ein Akt künstlerischer Narrenfreiheit

«Wollen wir zusammen rauf ins Schlafzimmer?», wirft Emma Stone in der zweiten Episode während eines Nachtessens mit Freunden recht unvermittelt in die Runde. Nach peinlichem Schweigen antwortet ihr Jesse Plemons: «Ich denke, das sollten wir heute nicht tun.» Worauf ihm Stone entgegnet: «Sollen wir’s etwa auf dem Tisch treiben? Das wäre seltsam.»

Regisseur Yorgos Lanthimos beim Fototermin in Cannes, flankiert von den Hollywood-Ikonen Emma Stone und Jesse Plemons.
Legende: In Cannes hofiert: Oscarqueen Stone, Regiekönig Lanthimos und Palmengewinner Plemons. Searchlight Pictures

Keiner paart delikate Dialoge zum Fremdschämen so schön mit expliziten Bildern wie der «Meister des Merkwürdigen» Yorgos Lanthimos. Spätestens seit seinem Oscarhit «The Favourite» will die halbe Welt mit dem Kopf der «Greek Weird Wave» drehen. Darum geniesst der 50-Jährige momentan in Hollywood Narrenfreiheit. Aus dieser kann Grossartiges hervorgehen wie «Poor Things», aber eben auch grossartig Gescheitertes.

Nonchalance mit fadem Nachgeschmack

Lanthimos liebt es, gesellschaftliche Missstände ad absurdum zu führen. Doch anders als in früheren Filme will ihm das hier nicht richtig gelingen. Das mag – wie viele glauben – an der nonchalanten, ja zynischen Tonalität liegen.

Hong Chau als fanatische Sektenanhängerin in der dritten Episode von «Kinds of Kindness».
Legende: Weit weg von ihrer religionskritischen Rolle in «The Whale»: Hong Chau als Sektenanhängerin. Searchlight Pictures

Doch wie der Vergleich mit Lanthimos Klassiker «Dogtooth» naheliegt, liegt der Hund wohl noch tiefer begraben: Damals kämpften die Unterdrückten gegen die harte Hand des Patriarchats. In «Kind of Kindness» unterwerfen sie sich dagegen aus freien Stücken. Das raubt jeder sozialkritischen Lesart den Zahn und lässt das Publikum letztlich ratlos zurück.

Kinostart am 4.7.2024.

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SRF 1, 10vor10, 4.7.2024, 21:50 Uhr.

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