«Wir sind traurig … Das Sihltal ist halt manchmal ein bisschen verhext. Besonders jetzt. Nun wollen sie dieses Haus abreissen und alle Leute müssen fort. Ich auch. Ich weiss noch nicht, wohin ich hinmuss. Das sehen wir dann.» Hanni Isler, Protagonistin der Doku «Kleine Heimat», spricht endlich aus, was man als Zuschauer längst vermutet hat: Ihr stinkt es.
Als wohlerzogene Bauerntochter mit Jahrgang 1926 würde sie das so aber nie formulieren. Sogar, dass sie traurig ist und das Sihltahl «halt manchmal ein bisschen verhext» sei, sagt sie nicht als Hanni. Sondern als Puppenspielerin, die am Muttertag vor versammelter Verwandtschaft Kasperli die Wahrheit verkünden lässt.
Entwurzelte Heldin des Alltags
Hanni Isler hat den grössten Teil ihres Lebens in einer Wohnsiedlung an der Kleeweidstrasse in Leimbach verbracht. 1957 zog die gebürtige Zürcher Oberländerin als junge Mutter mit Mann und Kind hier in den Neubau ein. Wenig später kamen zwei weitere Kinder dazu.
Anders als die meisten verheirateten Frauen ihrer Generation verdiente sie ihr ganzes Erwachsenenleben Geld. Zuerst ergänzte Hanni mit ihrem Lohn als Büroangestellte die Einkünfte ihres Mannes. Später trennte sie sich von ihm und lebte fortan als alleinerziehende Mutter – ohne je über die Doppelbelastung als Erzieherin und Ernährerin zu klagen.
Nach über 60 Jahren muss die vitale Rentnerin nun die eigenen vier Wände, die zu einem wichtigen Stück Heimat geworden sind, für immer verlassen. Immerhin ist Hanni dabei nicht allein. Mit Nachbarin Rosa Zehnder hat sie eine fast gleichaltrige Schicksalsgenossin, die sich ebenfalls nach einem neuen Zuhause umschauen muss.
Rosas Aussichten
Regisseur Hans Haldimann berührte das harte Los, mit dem die Mieterinnen im hohen Alter konfrontiert wurden. Seine Kernfragen lauteten: Wie gehen die beiden mit dieser Situation um? Und werden sie es schaffen, nochmals an einem neuen Ort Fuss zu fassen?
Also heftete er sich mit seiner Handkamera erwartungsvoll an ihre Fersen, wie er in unserem Interview verrät: «Am Anfang des Films habe ich mir gedacht: Ja, die schimpfen dann auch ein bisschen über ihren Vermieter, diese böse Versicherungsgesellschaft. Und hauen vielleicht auch mal auf den Tisch. Doch da war nichts.»
In Erinnerung bleiben daher vor allem die lichten Momente: In denen sich Rosa zum Beispiel beim Besichtigen einer eher kargen Wohnung über die Aussicht freut. Kurz nachdem ihr Lebenspartner auf dem Balkon zu einer spontanen Liebeserklärung angesetzt hat: «Egal, wohin ich gehe: Mit Rosa werde ich einfach überall glücklich sein.»
Sanfter Ton trotz klarer Haltung
Obwohl Hans Haldimanns «Kleine Heimat» kein Film der harten Töne ist, spürt man stets die Haltung, die den Regisseur zu diesen Porträt zweier Gentrifizierungs-Opfer angetrieben hat. Direkt darauf angesprochen, redet der 68-Jährige nicht lange um den heissen Brei herum:
«Da haben wir zwei Frauen, die haben ihr Leben lang brav und pünktlich jeden Monat ihre Miete bezahlt. In diesen 60 Jahren haben sie die Wohnung in der Summe sicher zwei- oder dreimal gekauft. Und am Schluss werden sie rausgeschmissen, haben nichts.»
Konsequenterweise lässt Haldimann seine einfühlsame Doku darum zwar durchaus zärtlich, aber nicht weichgespült oder versöhnlich enden. Sondern mit einem lakonischen Schluss, der zugleich nachdenklich und wütend macht.
Kinostart: 10. Juni 2021