In der Caravaggio-Forschung gibt es vereinfacht ausgedrückt zwei Lager: Die eine Seite sieht im Maler einen cholerischen Rebellen, der alle Regeln brach. Die andere Seite relativiert das und spricht von einem gewalttätigen Mann in einer brutalen Zeit. Fakt ist: Bei einer Strassenrauferei in Rom verletzte Caravaggio einen Gegner tödlich.
Das Biopic «L’ombra di Caravaggio» bedient sich bei beiden Lagern: Die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert wird geschildert als eine Epoche der Blutfehden, Strassenprostitution, wilden Orgien und Folterverhöre. Caravaggio (Riccardo Scamarcio) ist in seinem aufbrausenden Wesen eindeutig ein Teil dieser Welt, bricht aber die Regeln, weil er das Profane in die sonst sakral regierte Malerei überträgt.
Ein Spion tritt auf
Michele Placido – bekannt als todesmutiger Kommissar in der TV-Serie «Allein gegen die Mafia» – verantwortet das Projekt als Mitautor, Regisseur und Nebendarsteller. Geschickt gewählt hat er seine Erzählperspektive: Eine erfundene Figur, ein junger Spion namens «Der Schatten» (Louis Garrel) wird von Rom beauftragt, sich an die Fersen von Caravaggio zu heften.
Der Hintergrund für den Auftrag: Die Kirche hat Caravaggio wegen seines Tötungsdelikts ins Exil geschickt und ihn für vogelfrei erklärt. Nun erwägt sie aber, den Maler zu rehabilitieren: zu wertvoll ist sein Pinselstrich, zu begehrt sind seine Werke. «Der Schatten» soll daher herausfinden, wie es um den Lebenswandel des Künstlers bestellt ist.
Kein sympathischer Filmheld
Dieser Ansatz verleiht dem Film seine Form: «Der Schatten» befragt Menschen aus Caravaggios Umfeld – am ausführlichsten eine undurchsichtige Mäzenin (Isabelle Huppert) – und diese Gespräche machen den Weg frei für Rückblenden in die prägenden Stationen von Caravaggios Werdegang.
Diese Erzählform ist bewährt: Orson Welles brauchte sie in «Citizen Kane». Der Vorteil dabei: Zwischen dem Porträtierten und dem Publikum entsteht eine gesunde Distanz. Das ist wesentlich: Denn Caravaggio als sympathischen Filmhelden ins Zentrum zu stellen – das war keine Option. Zumal dem Künstler auch das Anrüchige der Knabenliebe anhaftet.
Wenig Homoerotik
Was diesen Aspekt anbelangt, hält sich der Film bedeckt. Das Thema wird angesprochen, Leinwände mit entblössten Jünglingen finden ins Bild. Aber Michele Placido zieht es dann doch vor, seinen Caravaggio mit willigen Frauen schlafen zu lassen, darunter auch mit der von Huppert gespielten Mäzenin.
Das fällt auf, denn frühere künstlerische Auseinandersetzungen mit Caravaggio – notabene Derek Jarmans Kunstfilm «Caravaggio» (1986) und Christoph Geisers Roman «Das geheime Fieber» (1987) – waren dezidiert queere Werke mit reichlich Platz für junge Männerkörper.
Ein Biopic mit machohafter Note
«L’ombra die Caravaggio» stammt dagegen von einem italienischen Filmemacher alter Schule, der sich wohler fühlt, wenn im Konflikt zwischen verruchtem Künstler und halbseidenem Klerus noch «richtige Männer» am Werk sind.
Das verleiht dem Film eine leicht machohafte Note. Was ihm aber im Endeffekt nicht schadet, denn schliesslich steht nirgends geschrieben, dass Caravaggio zwingend auf Homoerotik zu reduzieren sei.
Kinostart am 2.11.2023.