Die Haushaltsschulen waren in Frankreich das, was das Welschlandjahr für die jungen Deutschschweizerinnen war. Tausende von Mädchen sind über die Jahrzehnte in solchen «écoles ménagères» dressiert worden: in der Kunst des Haushaltens, der Küche, dem tadellosen Bügeln von Herrenhemden und im klaglosen Ertragen des ehelichen Beischlafs.
Im Film «La bonne épouse» ist das Elsässer Institut «Van Der Beck» eine von Hunderten solcher privaten Ausbildungsstätten für die perfekte Hausfrau im Frankreich des Jahres 1967.
Paulette (Juliette Binoche) führt die Schule – ihrem Gatten obliegt das Geschäftliche. Als dieser überraschend stirbt, stellt Paulette fest, dass das Institut unter einem Schuldenberg begraben liegt.
Mit ihrer Schwägerin (Yolande Moreau) in der Küche und der etwas eigenartigen Nonne Marie-Thérèse (Noémie Lvovsky) macht sich Paulette an die Rettung, organisiert einen Bankkredit und arbeitet an der Reputation.
Aber das Jahr ist eben 1967. Aus Paris kommen erste Gerüchte von Revolution und Jugendunruhen. Zudem befinden sich unter den jungen Damen in der Obhut des Instituts auch schon ein paar, die ihren Lebenszweck nicht im Arrangieren von Blumen und Bügeln von Hemden sehen.
Juliette Binoche ist überraschend komisch als zunächst leicht verschreckte, dann aber immer energischer durchgreifende Frau im Jackie-Kennedy-Look.
Dass Martin Provost seinen Film als Komödie mit dramatischem Einschlag inszeniert, kommt allen entgegen. Das starke Schauspielerinnen-Trio zieht alle Register, das Elsass mit seiner wechselvollen Geschichte bildet den perfekten Hintergrund.
Wer selbst in den 1960er-Jahren aufgewachsen ist, hat ein Déja-vu-Erlebnis nach dem anderen. Für alle aber ist das grosse Staunen angesagt, wie sehr sich die Welt dann doch verändert hat nach 1968.
Zu Beginn der 1970er-Jahre verschwanden die einst so zahlreichen «écoles ménagères» aus Frankreich – ähnlich wie das Welschlandjahr aus der Biografie der Deutschschweizer Frauen.
Binoche spielt gegen ihr Image
Mit «La bonne épouse» blickt Martin Provost, geboren 1957 in Brest, auf die Umbruchszeit seiner eigenen Jugend zurück.
Er sagt, seine Mutter sei gesellschaftlich noch ganz selbstverständlich als Anhängsel ihres Mannes deklariert worden, als «Madame Joël Provost», in ihrer Existenz komplett ausgerichtet auf das Wohlergehen ihres Gatten.
«La bonne épouse» ist kein grosser Film und nur entfernt vergleichbar mit Provosts bisherigen Frauenportraits wie «Séraphine» (2008) oder «Violette» (2013). Als Komödie und «period piece» aber bleibt er doch nachhaltig im Gedächtnis. Auch, weil Juliette Binoche hier so schön gegen ihr Image anspielt.
Filmstart: 29. Oktober 2020 (davor schon im Lunchkino in diversen Städten)