Das Auffälligste am argentinischen Film «La flor» ist sein schieres Volumen: 14 Stunden. Wahlweise lassen sich diese aufteilen in drei Akte, sechs Episoden, acht Segmente oder sieben Teile.
Geboten werden in chronologischer, vermeintlich zusammenhangsloser Reihenfolge: ein Horror-B-Movie, ein Mystery-Musical, ein Spionagethriller samt Epilog in der Form eines verfilmten Briefromans, eine metafilmische Exkursion, dann ein stummes Jean-Renoir-Remake und zuletzt eine historische Episode aus dem 19. Jahrhundert, die in der Wüste spielt.
Nur schon diese knappe Zusammenfassung erschöpft.
«Wer tut sich das an?»
Erzählt man im Bekanntenkreis von «La flor», sind die Reaktionen eindeutig: «Keine Zeit für sowas», «Wer tut sich das freiwillig an?» oder «Das geht wohl nur an Filmfestivals».
Tatsächlich lief «La flor» letztes Jahr am Filmfestival von Locarno im Wettbewerb und ging dort erwartungsgemäss leer aus. Nicht zuletzt wohl, weil sich keine Jury vorwerfen lassen wollte, sie würde Quantität vor Qualität stellen.
Botanische Struktur
Dabei ist «La flor» ein faszinierender Trip, wenn man sich genügend Zeit dafür freischaufelt. In einer ersten Sequenz tritt der Autor und Regisseur Mariano Llinás selbst vor die Kamera.
Er erklärt den Titel des Films mit der selbstgemalten Skizze einer Blume, welche die Struktur des Films abbilden soll: sechs Episoden, vier Blüten, vier Schauspielerinnen, die immer wieder auftauchen werden.
Der Rest des Konzepts wirkt verworren und nicht sonderlich ernst gemeint. Man lässt den Film besser einfach auf sich zukommen.
Ein Fluch zum Auftakt ...
Gleich in der ersten Episode stellt sich eine beruhigende Gewissheit ein: «La flor» ist kein überhebliches, quälend langsames Autorenkino. Ganz im Gegenteil: Eine verwunschene Mumie versetzt während der ersten 90 Minuten eine ärchäologische Forschungsstation im argentinischen Hinterland in Panik.
Der antike Fluch ist am Ende dieser Episode anscheinend gebrochen. Doch als Zuschauer ist man längst im Bann der vier Darstellerinnen, die diese Geschichte getragen haben.
... dann narratives Labyrinth
Prompt kommen sie wieder, diese vier Schauspielerinnen: Die Mumien-Exorzistin ist im nächsten Teil zu sehen als eine Schlagersängerin mit gebrochenem Herzen.
Die verzweifelte Archäologin aus Episode 1 trägt in Episode 2 eine schicke Sonnenbrille, spricht Italienisch und steckt hinter einer Verschwörung rund um ein Elixier aus Skorpiongift.
Die zahlreichen Geschichten driften auseinander und finden wieder zusammen – genau so wird das jetzt noch etliche Stunden dauern. Einfallsreichtum, in dem man sich getrost seine eigenen roten Fäden zusammensuchen darf.
Verwurzelt in der Fantasie
Anstrengend ist dieses aberwitzige Mammut-Projekt manchmal, ermüdend bisweilen.
Aber zuletzt stellt man dann doch fasziniert fest, dass dieser Film auf die Dauer etwas mit einem gemacht hat: Er wächst mittlerweile im eigenen Kopf weiter und verästelt sich dort – mit Blüten, die den vier genialen Schauspielerinnen auffällig ähnlich sehen.