Wenn man an furchteinflössende Tiere denkt, kommen einem wohl nicht als erstes Schafe in den Sinn. Wie sie aber am Anfang von «Lamb» nervös in ihrem Stall hin und her wippen und ihre schwarzen Augen weit aufreissen, erscheinen sie doch ziemlich gruselig. Hier wirken sie so, als ob sie etwas im Schilde führen würden.
Wir befinden uns auf einem Bauernhof irgendwo in den Bergen von Island, mit einer dicken Nebelschicht von der restlichen Welt abgetrennt. Auch das evoziert das Gefühl, dass hier irgendetwas Ungutes passieren wird.
Betrieben wird der abgelegene Hof von Maria (Noomi Rapace) und Ingwar (Hilmir Snær Guðnason). Ein junges Bauernpaar, das stillschweigend ihre täglichen Aufgaben abarbeitet. Erst nach rund zehn Minuten werden in «Lamb» die ersten Worte gewechselt.
Eine bedrückende Stille
Es ist eine Stille, die beunruhigt. Mit wenigen Mitteln kreiert Regisseur Valdimar Jóhannsson eine einzigartige, unheimliche Stimmung. Obwohl der Himmel nie ganz dunkel wird, ist es in der Welt von Maria und Ingwar düster.
Einordnen kann man diese beklemmende Atmosphäre aber nicht. Sind wir hier in einem Horrorfilm? Einem Drama? Einem finsteren modernen Märchen?
Die Antwort darauf bekommt man, als Maria und Ingwar einem Schaf bei der Geburt helfen: «Lamb» ist ein Fantasyfilm. Einer, der sein fantastisches Element nur ganz beiläufig in die reale Welt einfügt.
Das Bauerpaar zieht kein weiteres Lämmchen aus dem Mutterschaf, sondern eine sonderbare kleine Kreatur. Es ist ein Baby mit dem Körper eines menschlichen Kindes und dem Kopf eines Schafs.
Unaufgeregter Fantasy-Film
Auch wenn dem einen oder anderen Zuschauenden beim Anblick dieses komischen, aber auch ziemlich süssen Geschöpfs ein Lächeln übers Gesicht huschen wird: Der Film bleibt trotz dieses absurden Ereignisses ziemlich ernst.
Als ob nichts wäre, nehmen Ingwar und Maria das Schafsmenschenbaby bei sich auf, kleiden es ein und nennen es Ada. Es ist Ingwars Bruder Petur (Björn Hlynur Haraldsson), der schliesslich ausspricht, was das Publikum schon lange denkt: «Was geht hier eigentlich vor?»
Bruder stört das junge Familienglück
Die recht klischierte Eindringlingsfigur des Bruders bringt die neue sonderbare Familie ziemlich durcheinander. Nicht nur, weil Petur das Schafsbaby nicht akzeptieren will, sondern auch, weil zwischen ihm und Maria eine alte Liebschaft nicht ganz abgeschlossen zu sein scheint.
Der Film behält sein langsames Tempo – das aber nicht zu seinem Besten. Denn ist das Schaf-Mensch-Hybrid erst mal auf der Welt, schafft es «Lamb» nicht, seine anfangs so kunstvoll aufgebaute Spannung aufrecht zu erhalten.
Tiefgründige Themen auf der Oberfläche
Der Film beinhaltet durchaus spannende Themen: Es geht darum, wie sich der Mensch über die Natur stellt. Ausserdem deutet er die Frage an, was es überhaupt bedeutet, Eltern zu sein. Auch das Thema der Isolation und ihre Effekte stecken in der Geschichte drin. Antworten auf diese Reflexionen zu finden, überlässt «Lamb» aber dem Publikum.
Den Sprung vom Horrorfilm zum Familiendrama schafft der Film ebenfalls nicht. Dafür sind die gänzlich menschlichen Protagonisten und ihre Beziehungen in diesem Film einfach nicht interessant genug.
Als minimalistische Horror-Fantasy-Geschichte würde «Lamb» zusammengerafft als Kurzfilm durchaus funktionieren. So lässt er einen aber mit dem Wunsch zurück, dass er sich lieber ganz auf die märchenhafte Story fokussiert hätte.
Kinostart: 28.10.2021