Nein, idyllisch ist die Weltlage derzeit nicht. Gerade deswegen beginnt Julie Delpy ihre achte Regiearbeit mit märchenhaften Worten: «Es war einmal in Paimpont …» Das bretonische Dorf gibt es wirklich. Und das erste Gesicht, das uns in «Les barbares» anlächelt, hat ebenfalls einen aktuellen Realitätsbezug: Es ist dasjenige von Staatspräsident Macron.
Wir befinden uns also mehr oder weniger in der Gegenwart, genauer: im Frühling 2022. In Paimpont herrscht zwar nicht immer Harmonie – und doch wirkt das malerische Dörfchen wie aus dem Bilderbuch. Was nicht in erster Linie an der urwüchsigen Landschaft liegt, sondern an seiner typisch französischen Bevölkerung.
Angeführt wird diese von einem leicht verschwitzten Bürgermeister und einer überengagierten Lehrerin (Julie Delpy höchstpersönlich). Dazu gesellen sich zugezogene Sonderlinge vom linken und rechten Rand des politischen Spektrums: So hat ein Alt-Hippie aus Paris (Delpys eigener Vater Albert) in Paimpont genauso seine Heimat gefunden wie ein ausländerfeindlicher Klempner.
Nationsabhängige Nächstenliebe
Nachdem sich der Gemeinderat auf die Aufnahme ukrainischer Asylsuchender einigen konnte, freut sich ganz Paimpont auf deren Ankunft. Ganz Paimpont? Fast. Nur der chronisch missmutige Klempner hört nicht auf, Widerstand gegen die befürchtete Überfremdung zu leisten. Erst recht, als er erfährt, dass seine neuen Nachbarn gar nicht aus der Ukraine, sondern aus Syrien kommen.
«Ukrainer sind sehr gefragt auf dem Flüchtlingsmarkt», erklärt ihm der Bürgermeister, daher müssten sie nun mit Syrern vorliebnehmen. «Ausgerechnet Araber!», denkt sich der Rassemblement National wählende Handwerker. Was ihn dazu bewegt, fremdenfeindliche Aktionen zu starten.
So sprayt er zum Beispiel «Raus mit den Barbaren!» auf die Hauswand der Neuankömmlinge, die der Film als gebildete Familie skizziert. Dass die Geflüchteten nicht in die geistigen Schubladen der Einheimischen passen, trägt sowohl zum Realismus als auch zur Komik des kurzweiligen Fünfakters bei. Überhaupt ist es Delpy hoch anzurechnen, wie leicht ihr die schwierige Verschränkung von dramatischen und komischen Elementen gelingt.
Wer sind die Barbaren?
«Les barbares» ist definitiv Delpys bisher politischster Film. Die sympathische Familie Fayad, welche vor Diktator Assad und dem Bürgerkrieg geflohen ist, hätte ebenso gut in Ken Loachs «The Old Oak» gepasst. Die Einheimischen scheinen dagegen eher einer alten französischen Filmklamotte oder einem Asterix-Comic entsprungen zu sein.
So rächt sich eine Bretonin plakativ an ihrem untreuen Ehemann: Zuerst kauft die Gehörnte bei der Metzgerin, mit der sie betrogen wurde, eine Spezialität ein. Diesen Fleischknüppel nutzt sie dann, um ihren Gatten auf offener Strasse zu verprügeln. Frei nach dem Motto: Rache ist Blutwurst! Was die Frage, wer hier die Barbaren sind, nicht nur aufwirft, sondern auch gleich beantwortet.
Holz und Vorurteil
Die spinnen, die Bretonen! «Les barbares» zeichnet die kauzigen Ortsansässigen bewusst als hölzerne Karikaturen. Am meisten Tiefe schreibt das von Delpy mitverfasste Drehbuch noch ihrer eigenen Figur zu.
Mit der links-grünen Lehrerin Joëlle, dem hyperaktiven Gewissen eines Ortes voller Idioten, wird sich das Kinovolk identifizieren können. Zumal ja die ganze Welt ein Dorf ist, in dem sich gerade so mancher in Ost und West auf dem Holzweg befindet.
Kinostart: 27.3.2025