Wie macht man einen Film über eine Person, von der es weder Video- noch Tonaufnahmen gibt? «Mit einer blühenden Fantasie und viel Lust an Recherchearbeit», beantwortet Fabian Chiquet die Frage.
Er ist einer der beiden Regisseure von «Die Pazifistin». Der Dokumentarfilm erzählt das Leben der Schweizer Chemikerin und Frauenrechtlerin Gertrud Woker, die von 1878 bis 1968 lebte.
Kunst aus Archivmaterial
Fabian Chiquet und Matthias Affolter verweben in ihrem Film collagenhaft Animationen, Fotografien, Fernsehaufnahmen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit Tagebucheinträgen und Gedichten von Gertrud Woker selbst.
Das vielfältige Material verdanken die beiden Regisseure unter anderem der Zusammenarbeit mit den Historikerinnen Franziska Rogger und Gerit von Leitner – zwei starke Protagonistinnen im Film.
Suche nach einer Unbekannten
Mit den beiden Historikerinnen gingen Chiquet und Affolter auf eine nicht ganz einfache Spurensuche. Denn selbst die eigenen noch lebenden Familienmitglieder von Gertrud Woker wussten lange kaum etwas über sie.
«Das Einzige, was ich über Tante Trudi wusste, war, dass man sie für nicht ganz klar im Kopf hielt», sagt Historiker und Journalist Martin Woker. Er ist der Grossneffe von Getrud Woker und ebenfalls Protagonist in «Die Pazifistin».
Entgegen aller Widerstände
Dabei leistete Gertrud Woker in ihrem Leben Ausserordentliches, wie der Dokumentarfilm eindrücklich zeigt. Und das entgegen aller Widerstände. Sie machte die Matura, obwohl man es ihr verboten hatte. Sie schloss das Studium mit Bestnoten ab und wurde zur ersten Chemiedozentin im deutschsprachigen Raum. Ihr Labor blieb trotzdem winzig. Auch verdiente sie nur einen Bruchteil des Gehalts ihrer männlichen Kollegen.
Ihr wohl grösster Verdienst: Ihr Widerstand gegen den Einsatz von Giftgasen während beider Weltkriege. Unter anderem bei einer USA-Reise sah sie die grausamen Auswirkungen der Tests von Chemiegasen und klärte mit Vorträgen in Europa darüber auf.
Kirche, militärische Elite aber auch Arbeitskollegen versuchten vehement, ihre Arbeit zu verhindern. Sie wurde denunziert, verleugnet und schliesslich für paranoid erklärt.
«Die Pazifistin» ist damit auch ein Abbild davon, wie im letzten Jahrhundert einflussreiche Frauen diskreditiert wurden. «Man hat ständig versucht, sie kleinzureden», sagt Historikerin von Leitner.
Geschichtsschreibung wird revidiert
Wie hielt sie dies nur aus? «Ich denke, möglich war dies durch die Frauenbündnisse, die sie auf der ganzen Welt schloss», sagt Regisseur Matthias Affolter.
Denn Gertrud Woker war trotz allem nicht allein. So gründete sie die Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit mit. Ein Bündnis, das sich gegen den Missbrauch der Wissenschaft für kriegerische Zwecke einsetzte. Auch das Engagement und die Bedeutung der Frauenliga in dieser Zeit wurden in der Geschichtsschreibung zu fest ignoriert, findet Affolter.
«Die Geschichte des Ersten und Zweiten Weltkriegs, so wie sie in unseren Geschichtsbüchern steht, wird uns ausschliesslich aus Männersicht erzählt», sagt Fabian Chiquet. «Ich fühle mich da schon ein bisschen betrogen.»
Eine echte Heldin
Gertrud Woker liess sich von ihren Überzeugungen nie abringen und kämpfte immer weiter. «Das macht sie für uns zu einer wahren Heldin», sagt Chiquet.
Ob Gertrud Woker nun tatsächlich durch all die Schwierigkeiten in ihrem Leben verrückt wurde, lässt die Doku offen. «Das spielt eigentlich für den Film auch gar keine Rolle», meint Fabian Chiquet.
«Die Pazifistin» soll die Leistungen dieser vergessenen Heldin würdigen – etwas, das längst überfällig war.