Adam Driver steht im Abendrot auf der Umrandung der Spitze des Chrysler Buildings in New York. Er hebt einen Fuss zum Schritt ins Leere, beginnt zu stürzen – und gebietet der Zeit stillzustehen. Die Zeit gehorcht.
Adam Driver spielt in «Megalopolis» einen visionären Architekten, der mit seiner Kunst den Niedergang seiner Stadt aufhalten möchte.
Seinen eigenen hoffnungsvoll visionären Schritt in die Leere hat «Godfather»-Regisseur Francis Ford Coppola über die letzten 40 Jahre vorbereitet, aufgeschoben, und nach 9/11 schubladisiert, als die traumatisierte Stadt keine mehrdeutigen Begleittöne ertragen hätte. Vor fünf Jahren hat er sie wieder ausgegraben.
Untergang einer Metropole
«Megalopolis» ist angelegt als Opus magnum, als Clash der Kunstfreiheit mit dem Pragmatismus und als soziale Utopie gegen die Machtgier Einzelner. Und voller Widersprüche. Die Grundidee ist eine Fusion des untergegangenen antiken Roms mit dem amerikanischen Traum, der sich in der Stadt New York manifestiert.
Megalopolis ist genau das: Eine Mega-Stadt, in der sich der künstlerische Visionär Cesar dem pragmatischen Bürgermeister Franklyn Cicero (Giancarlo Esposito aus «Breaking Bad») entgegenstellt.
Wie seinerzeit die endlose, von Katastrophen geplagte Entstehung von «Apocalypse Now», die Coppola selbst im Nachhinein als Wahnsinnsunternehmen bezeichnet hat, sind auch seine «Megalopolis»-Pläne medial hoch- und niedergeschrieben worden.
Hybris und Altersstarrsinn, Sexismus auf dem Set (wie der britische Guardian schrieb), kommerzielle Unbrauchbarkeit, der Sologang eines abgehalfterten Starregisseurs.
Komplexes Gesamtkunstwerk
Denn der Film ist tatsächlich kein stromlinienförmiges Unterhaltungsschiff mit bekömmlich verteiltem Tiefgang. Er ist ein überbordendes, die Gestalt wechselndes Monstrum, in dem sich geniale Sequenzen mit rhetorisch überkandidelten Quasselstrecken durch die orgiastische Bilderflut von CGI-Strassenzügen und Wolkenkratzern hindurchwinden.
«Megalopolis» ist ein Bastard aus 130 Jahren Kinokunst. Coppola borgt seinen Architekten Cesar bei der libertären Vordenkerin Ayn Rand («The Fountainhead»), haufenweise Ideen (und «Morpheus»-Darsteller Laurence Fishburn) bei «The Matrix», und er zitiert und evoziert die halbe Kunst- und die ganze Filmgeschichte.
Und Coppola nutzt, wie früher schon, alte Tricks und neuste Technik, ohne sich an Hollywood-Standards und Erzählregeln zu halten: assoziativ, mäandernd, ausufernd, manchmal gezielt disziplinlos.
Paradiesgarten des Eigensinns – ohne Kostendeckung
Der Film ist kein massentaugliches Franchisekonzept und wird wahrscheinlich in vielen Ländern nicht einmal kostendeckend sein. Aber «Megalopolis» ist ein Paradiesgarten des Eigensinns, die lustbetonte Stromschnellenfahrt eines alten Traumschiff-Kapitäns, der sich in seiner langen Karriere eigentlich immer über alles hinweggesetzt hat, immer wieder alles riskiert.
Ja, «Megalopolis» ist kein stilbildendes Meisterwerk wie die ersten beiden «Godfather»-Filme oder «Apocalypse Now». Aber durchaus ein Opus Magnum, die Summe aller Ambitionen eines Künstlers, der sich lieber noch einmal neu erfindet, als endlich Ruhe zu geben.
Kinostart: 26.09.2024