Es klingt wie eine Parodie auf einen Gangsterfilm: Bei einem Kokaindeal mit dreckiger Ware strecken sich in einer Zürcher Wohnung alle Beteiligten gegenseitig nieder. Übrig bleibt eine Tasche voller Banknoten. Und teils reiner, teils gestreckter Koks.
Auftritt Annika (Nilam Farooq) und Caro (Silvana Synovia): Die Bettgespielin und die Wohnungsnachbarin des Käufers – beide überrumpelt vom Geschehen – horten die Schätze, während die schwerbewaffnet vorgefahrene Polizei das Haus abriegelt.
Der Plot: Ein Selbstläufer
Das draufgängerische Duo türmt im Fluchtwagen, dicht hinter ihnen weitere Langstrassen-Gangster und ein zwielichtiger Ordnungshüter mit ledernem Schulterholster (Anatole Taubman). Ab geht’s Richtung Landesgrenze in die verschneiten Berge, in ein Luxus-Chalet in Leysin.
Das sind sehr viele Thriller-Klischees auf einem Haufen. So hingesagt wirkt der Plot, als hätte eine künstlich intelligente Software die Drehbücher von Kultfilmen wie «Thelma and Louise» (1991), «Drive» (2011) und «Victoria» (2015) verfüttert bekommen.
Aus Versatzstücken gebaut
Diese überspitzte Referenzlastigkeit ist allerdings nicht der Ideenlosigkeit der Schreibenden geschuldet, sondern dem verfolgten Plan: «Early Birds» ist ein Genrefilm. Ein bewusstes Spiel mit Stereotypen, Codes und Schablonen.
Geschrieben hat das Drehbuch (mit Team) der Zürcher und Wahlberliner Mathieu Seiler, der schon in seinem selbstinszenierten Film «Orgienhaus» (2000) von einer Flucht mit einem Koffer voller Geld erzählte.
Seiler weiss: Versatzstücke aus anderen Filmen, das sind Pfeiler, um die man sich als Autor schlängeln kann.
An Bord: Netflix
«Early Birds» ist aber viel näher am Mainstream als alles, was Seiler bisher geschrieben hat. Seine Kunst der Subversion war nicht gefragt für diesen Film, der mit Netflix entstand. Gerade die Marke Netflix wurde vom Filmteam im Vorfeld gerne an die grosse Glocke gehängt: ein Schweizer Spielfilm, weltweit zu sehen.
Vorerst läuft «Early Birds» aber «nur im Kino», wie es heisst. Netflix lässt sich Zeit. Lohnt sich nun aber ein Kinoticket für «Early Birds»? Und wenn der Film dann auf Netflix läuft: Blamieren wir uns?
Als Treibstoff: Adrenalin
«Early Birds» im Kinosessel, das funktioniert: Der Film ist laut und schnell geschnitten, wie ein Kokainrausch. Regisseur Michael Steiner ist in Form, er brettert mit aggressivem Tondesign und agiler Kamera durch den dünnen Plot und bemüht sich erfolgreich, dem Publikum zwischen knappen Dialogpassagen mehrere Adrenalinschübe zu bescheren.
Stört man sich nicht an Anschlussfehlern, an Unglaubwürdigem und an einem bis zum Exzess chargierenden Anatole Taubman, dann ist das keine Sekunde langweilig – zumal die beiden Hauptdarstellerinnen reichlich Energie mitbringen.
Originell ist «Early Birds» nicht. Aber er ist vom ersten Shootout bis zum finalen Showdown universell verständlich. Und er wird daher auf der Plattform Netflix – gemessen an der Konkurrenz – sicher keine schlechte Figur machen.
Kinostart: 12.10.2023. Voraussichtlich im Frühling 2024 wird «Early Birds» auf Netflix für das weltweite Publikum zu sehen sein.