Manche Verbrechen erschüttern uns. Andere sind so alltäglich, dass wir sie nur noch resigniert zur Kenntnis nehmen. Zum Beispiel, wenn sich wieder mal ein Filmproduzent an schönen jungen Damen vergriffen hat.
Ein weiterer Fall nach Weinstein-Muster? Nicht ganz: Die Grundsituation von «Mon crime» ist fiktiv und in den 1930er-Jahren angesiedelt. Zudem steht hier vor Gericht eine andere Frage im Zentrum. Nicht: Was hat er sich zuschulden kommen lassen? Sondern: Wer hat ihn umgebracht?
Hauptverdächtige ist die strohblonde Schauspielerin Madeleine (Nadia Tereszkiewicz), die mit ihrer arbeitslosen Freundin Pauline (Rebecca Marder) in einer winzigen Pariser Mansardenwohnung lebt. Letztere übernimmt als studierte Rechtsanwältin für die Unschuldige die Verteidigung, was ungeahnte Konsequenzen nach sich zieht. Mehr über den Inhalt zu verraten, wäre dem Reiz dieses wendungsreichen Gerichtsfilms abträglich.
Halb sozialkritischer Krimi, halb Screwball-Komödie
Lose auf einem Theaterstück aus den 1930er-Jahren basierend, ist «Mon crime» ein Krimi mit köstlich spitzen Dialogen. Diese weisen oft auf gesellschaftliche Missstände hin, die für die Verfilmung heutigen Gegebenheiten angeglichen wurden. Den historischen Kontext hat Regisseur François Ozon dagegen bewusst beibehalten, um den aktuellen Problemen mit Distanz zu begegnen.
Auf den hochtourigen Gender-Humor seines neusten Films angesprochen, lässt Ozon «in Zeiten kollektiver Depression» seine Liebe für die Screwball-Komödie durchblicken: «Mir schien es das ideale Genre zu sein, um diese Geschichte zu erzählen: im Ton einer zärtlichen Farce, die mit dem Absurden spielt und die Theatralik in den Mittelpunkt stellt.»
Darauf scheint Frankreichs Schauspielelite gewartet zu haben: So laufen Publikumslieblinge wie Dany Boon und Fabrice Luchini in ihren exzentrischen Nebenrollen zu Höchstform auf, während die zwei deutlich weniger etablierten Hauptdarstellerinnen mit heroischen Performances beweisen, wozu sie fähig sind.
Huppert kehrt zu Ozon zurück
Last but not least darf sich das Publikum auf ein Wiedersehen mit der Grande Dame Isabelle Huppert freuen. Für die zweifache César-Preisträgerin, die schon 16-mal für den französischen Oscar nominiert wurde, ist es erstaunlicherweise erst die zweite Kooperation mit François Ozon.
Wie sie ihre Figur mit dem schillernden Namen Odette Chaumette – inmitten farbenfroher Dekors – mit Leben erfüllt, ist allein schon das Eintrittsgeld wert.
Als Kontrahentin von Madeleine und Pauline eingeführt, entpuppt sie sich als deren Schwester im Geiste. Statt sich gegenseitig zu zerfleischen, kämpfen sie schliesslich für eine grössere, gemeinsame Sache: die Emanzipation der Frau.
Würdiger Abschluss einer feministischen Trilogie
Gemäss Ozon kann man «Mon crime» als letzten Teil einer Trilogie betrachten, die 2002 mit «8 femmes» begann und 2010 mit «Potiche» fortgeführt wurde. Alle drei Filme nehmen den Status von Frauen unter die Lupe und ergründen diesen mit Humor und Glamour.
In «Mon crime» werden Madeleine und Pauline vor die Wahl gestellt, entweder die Gattin eines Mannes zu sein oder dessen heimliche Mätresse. Für beide ist weder das eine noch das andere eine Option. Welche Form von Liebe die zwei Heldinnen füreinander empfinden, überlässt Ozon – der erklärte Bewunderer von Wilder, Almodóvar und Fassbinder – seinem mündigen Publikum.
Kinostart: 6.7.2023