Claudio Noce war keine zwei Jahre alt, als er miterleben musste, wie auf seinen Vater ein Anschlag verübt wurde. Es war die Zeit der «bleiernen Jahre»: So nennt man in Italien die Zeit zwischen 1969 und 1982, in der die linksextremen «Roten Brigaden» und rechtsextreme Neo-Faschisten über 14'000 Anschläge verübten.
Claudio Noces Vater war damals Vize-Polizeichef in Rom und überlebte den Anschlag zum Glück. Das Trauma hat den Filmregisseur aber durch sein Leben begleitet. Nun hat Noce darüber einen Spielfilm gemacht. «Padrenostro» ist keine autobiografische Nacherzählung. Aber der Film erzählt konsequent aus der Perspektive eines Kindes: Noces Alter Ego Valerio.
Schüsse, Schreie
Dieser Valerio ist nicht zwei, sondern zehn Jahre alt. Der blonde, feine, fast zerbrechlich wirkender Junge zieht sich am liebsten in eine Fantasiewelt zurück, die er in einer Kammer auf dem Dach eingerichtet hat. Dort hat er auch einen imaginären Freund.
Eines frühen Morgens muss er aus dem Fenster mit ansehen, wie ein terroristischer Anschlag auf seinen Vater verübt wird. Er sieht nicht viel, hört Schüsse, Schreie und sieht einen Mann auf dem Boden liegen.
Was weiss das Kind?
Sein Umfeld denkt, er habe nichts mitbekommen und tut alles, um diesen Anschlag vor dem Kind geheim zu halten. Da der Film konsequent aus Valerios Perspektive erzählt, bleibt auch das Publikum in dieser unsicheren Lage, nicht genau zu wissen, was denn nun passiert ist.
Valerio verändert sich nach diesem Anschlag. Er zerstört sein Spielzimmer und mit ihm seine Fantasiewelt – und die reale Welt um ihn herum ist düster, bedrohlich. Regisseur Noce ist es gelungen sie tatsächlich «bleiern» darzustellen – diese «anni di piombo».
Der unsichtbare Freund
Dann taucht plötzlich Christian auf – etwas älter als Valerio, ein bisschen zerlumpt, die Version eines schlauen Strassenkindes, wie aus einem Roman von Charles Dickens entsprungen. Christian wird Valerios Freund.
Er taucht auf, verschwindet wieder, um dann wieder da zu sein, wenn Valerio ihn braucht. Nie aber zeigt er sich, wenn andere Familienmitglieder dabei sind.
Christian taucht sogar auf, als Valerio mit Familie bei den Grosseltern in Süditalien ist. Ist er eine Märchenfigur, ein imaginierter Freund? Das bleibt in der Schwebe, auch dann noch, als auch Valerios Vater Christian kennen lernt.
Ein Hauch von Nostalgie
«Padre Nostro» ist kein historischer Film über die «bleiernen Jahre», kein Film, der erklärt, sondern einer, der davon erzählt, wie diese Zeit, diese Situation im Land für Kinder schwer zu verstehen und zu verarbeiten war.
«Padre Nostro» ist aber auch eine intime Coming-of-Age-Geschichte, eine Geschichte über eine Vater-Sohn-Beziehung, über Familienbanden und über die Schwelle von Kind zu Teenager. Erzählt wird das alles in ruhigem Tempo, in wunderschönen Bildern, die an das Kino der 1970er-Jahre erinnern.
Kinostart: 14.05.2021