Frauen werden bekanntlich oft auf ihr Erscheinungsbild reduziert. Die augenzwinkernd «notorisch» genannte US-Bundesrichterin Ruth Bader Ginsburg nicht. Dafür hat die zierliche, kleine Frau mit Brille hart gearbeitet.
Trotzdem gibt es inzwischen unzählige Memes und Merchandise-Produkte mit ihrem Konterfei. Als «Notorious RBG» ist die unermüdliche Kämpferin für Gleichberechtigung inzwischen beides: Ikone der Popkultur und juristische Machtfigur.
Ginsburg selbst nimmt’s gelassen. Im Film verliert sie nur wenige Worte über ihren Starstatus in liberalen Kreisen. Kein Wunder, wenn man weiss, dass sie als bekennender Workoholic Smalltalk für Zeitverschwendung hält. Lieber widmet sich die feministische Vorkämpferin, die regelmässig Gewichte stemmt, den wichtigen Dingen.
Familie, Freiheit, Frauenrechte
Ginsburgs Lebenslauf zeugt von ihrem eisernen Willen, die Welt zu verändern. Bereits mit 30 Jahren dozierte die zweifache Mutter als Universitätsprofessorin.
1971 lancierte sie ein Pionierprojekt für Frauenrechte und verfasste die Klageschrift eines wegweisenden Gerichtsfalls. Ginsburg überzeugte in diesem den Supreme Court, ein sexistisches Bundesgesetz aufzuheben. Dieses besagte, dass bei der Vermögensverwaltung «Männer den Frauen vorzuziehen sind».
Ab 1980 wirkte Ginsburg als Richterin am Berufungsgericht, bis sie Präsident Bill Clinton beförderte: Seit dem 10. August 1993 ist sie das älteste Mitglied des Obersten Gerichtshofs. Die späte Krönung einer filmreifen juristischen Karriere.
Gewöhnlich gestalteter Film über eine Ungewöhnliche
Apropos Karriere: Die beiden «RBG»-Regisseurinnen Betsy West und Julie Cohen sind auch sehr erfolgreich. Ihr erster gemeinsamer Kinofilm füllte in den USA die Kassen und erhielt zwei Oscar-Nominierungen.
Zuvor hatten West und Cohen vor allem fürs Fernsehen gearbeitet. Das merkt man «RGB» deutlich an: Die mehrfachen Emmy-Preisträgerinnen erzählen recht chronologisch und allzu konventionell.
Die Bilder unterscheiden sich kaum von einer x-beliebigen TV-Doku. Aussergewöhnlich ist «nur» der Inhalt: Ruth Bader Ginsburg trägt als veritable Superheldin den Film – mit ihrem Mann als Sidekick.
Dynamisches Duo mit klarer Rollenverteilung
Martin D. Ginsburg kennt und liebt seine Rolle im Schatten seiner übermächtigen Frau. Die Führungsqualitäten des renommierten Steueranwalts sind im Familiengefüge kaum gefragt.
Sie ist der Chef, fällt als personifizierte Ernsthaftigkeit die wichtigen Entscheidungen. Er sorgt mit seinem Witz für den comic relief, den befreienden Lacher. Gemeinsam sind sie unschlagbar. Besonders als Vorbild, dass Stärken und nicht das Geschlecht über die Rollenverteilung entscheiden sollten.
Vor einer anderen Entscheidung steht derzeit das Ginsburg-affine Kinopublikum: Dok- («RGB») oder Spielfilm («On the Basis of Sex») – das ist hier die Frage. Uns hat die kurzweilige Doku klar besser gefallen als das profillose Rührstück. Im Zweifel also lieber das «notorische» Original wählen als die blasse Hollywood-Kopie!
Kinostart: 28.03.2019