«Komm durch die offene Tür, in einer klaren Stunde.» Solch einladende Worte hört der Sensenmann gewiss selten. Doch für den sterbenden Robert Widmer-Demuth, von seinen Freunden kurz und knapp Röbi genannt, sind sie geradezu charakteristisch.
Als der Sozialarbeiter die Diagnose Lungenkrebs im fortgeschrittenen Stadium erhielt, entschied er sich gegen eine Chemo- oder Bestrahlungstherapie. Nicht, weil er an ein Leben nach dem Tod glaubte. Sondern an eines davor. Und dieses wäre laut Experten durch die schärfsten Waffen der Schulmedizin nur wenig verlängert worden.
Statt gegen den Krebs zu kämpfen, tat Röbi das, wofür ihn alle lieben: Er suchte den Dialog. Oder wie sein Freund René Bucher im Film festhält: «Du redest nicht von Krebs. Du sprichst ihn direkt an und nennst ihn liebevoll ‹Krebslein›. Ich weiss nicht, wie man das in deiner Situation tun kann. Aber das ist typisch Röbi!»
Trost brauchen nur die anderen
Immer wieder empfängt der Unerschütterliche in seinen letzten sechs Lebensmonaten Vertraute oder Verwandte. Immer wieder muss er sie trösten, wenn sie die Gefühle angesichts der bevorstehenden Trauer übermannen. Er selbst hat sich mit seinem Schicksal längst angefreundet. Nur so lässt sich die Gelassenheit erklären, mit der er über die zitternden Hände seiner Gäste streicht.
«Verkehrte Welt» nennt das Christian Labhart, der mit seiner Frau Heidi Schmid die letzten Begegnungen ihres Bekannten filmisch eingefangen hat. Selbstverständlich ist das nicht, zumal Labharts Co-Regisseurin vom Projekt zunächst wenig begeistert war. «Ich befürchtete eine Homestory», präzisiert Schmid, die mit Röbis Frau Heidi mehr als nur den Vornamen teilt.
«Doch schliesslich hat sich eine konstruktive Vierersituation ergeben», erklärt Labhart: «Bestehend aus zwei Paaren, die ähnlich alt sind und durchaus als 68er bezeichnet werden können.» Ohne das Vertrauen, das zwischen allen Beteiligten herrschte, hätte die Doku niemals ihr Ziel erreicht, zugleich intim und pietätvoll zu sein.
Randständige als Vorbilder
Röbi und seine Frau Heidi tragen als sympathisch unkonventionelle Figuren den Film. Die Schlüsselfrage beantwortet der Protagonist gleich selbst. «Welchen Mentoren bist du in deinem Leben begegnet, dass du nun so gut mit dem Tod umgehen kannst?», will ein Bewunderer wissen.
Wer nun den Namen eines Gurus erwartet, liegt falsch. «Die Randständigen, die ich als Sozialarbeiter kennenlernen durfte, sind meine Mentoren gewesen.» Drei Jahrzehnte lang hatte Röbi den von Pfarrer Ernst Sieber gegründeten «Suneboge» geleitet: Einen Ort, an dem Alkoholiker und Obdachlose willkommen waren. Leute, die mit dem Tod vor Augen lebten.
Unerwartete Wärme
Bruder Tod war für Röbi also ein steter Begleiter. Kein abstraktes Schreckgespenst, sondern eher so etwas wie ein guter Bekannter. Um die Verbundenheit mit seinem «Bruder» zu illustrieren, sagt Röbi an einer Stelle gar: «Der Tod hat warme Hände.»
Ein denkwürdiger Satz, der Co-Regisseur Christian Labhart sofort begeisterte: «Nie wäre ich auf die Idee gekommen, dass der Tod warme Hände hat. Der ist doch kalt!»
Filme übers Sterben sind deprimierend und der Sensenmann ein finsterer Geselle? Mit solchen Allgemeinplätzen räumt die erstaunlich lebendige Doku «Röbi geht» auf. Sie überrascht das Publikum mit feinem Humor und entlässt es mit erwärmten Herzen.