London im Mai 1940: Hitler sorgt für Angst und Schrecken. Die Lage scheint aussichtslos, Nazi-Deutschland übermächtig. England erlebt im Zweiten Weltkrieg seine dunkelste Stunde.
Nur ein Mann glaubt weiterhin an den militärischen Sieg: Englands neuer Premierminister Winston Churchill. Anders als sein vorsichtiger Vorgänger will der frisch gewählte Hitzkopf handeln, statt mit den Nazis zu verhandeln.
Das dunkelste Zitat
«Man kann mit einem Tiger nicht vernünftig reden – mit dem Kopf in seinem Maul!» Premier Winston Churchill (Gary Oldman) hämmert seinem Aussenminister Viscount Halifax (Stephen Dillane) ein, warum Friedensgespräche mit den Faschisten nicht in Frage kommen: Weil ein echter Dialog mit dem «Raubtier» Hitler in Englands misslicher Lage schlicht und ergreifend unmöglich sei.
Der Schauspieler
Als Charakterdarsteller gehört Gary Oldman längst zu den ganz Grossen. Unvergessen, wie er 1986 die Punk-Ikone Sid Vicious mit seiner Performance in «Sid and Nancy» wieder zum Leben erweckte. Grossartig, wie er 1991 Amerikas umstrittenstem Sündenbock Lee Harvey Oswald in «JFK» Kontur verlieh. Und herrlich, wie er nur ein Jahr später in «Dracula» zum gefürchtetsten aller Grafen mutierte.
Danach demonstrierte Oldman mit «True Romance», «Léon» und «The Fifth Element», dass er als böser Bube kaum zu toppen ist. Eine Oscar-Nominierung blieb dennoch aus. Für den Ritterschlag der Academy waren diese Parts wohl einfach zu böse.
So musste der Brite bis 2012 warten, bis er endlich ins Oscar-Rennen gehen durfte (für die Hauptrolle in «Tinker Tailor Soldier Spy»). Nach dem Gewinn des Golden Globes für «Darkest Hour» stehen die Zeichen für Oldman, der Ende März 60 wird, bei den Oscars nun erstmals auf Sieg. Höchste Zeit!
Fakten, die man wissen sollte
Als Politiker war Winston Churchill eine gleichermassen schillernde wie umstrittene Figur. Einerseits bot er Hitler erbittert die Stirn. Andererseits befürwortete er zum Beispiel die Sterilisierung von «Geistesschwachen», «damit der Fluch mit diesen Menschen ausstirbt und nicht an nachfolgende Generationen weitergegeben wird».
Auf mehr Resonanz stiess glücklicherweise eine Rede, die der brillante Rhetoriker am 19. September 1946 in Zürich hielt. Thema war die Verhinderung weiterer grausamer Kriege in Europa. Zu diesem Zweck rief Churchill Frankreich und Deutschland zu einer raschen Versöhnung auf.
Um den gemeinsamen Weg zu besiegeln, schlug er «eine Art Vereinigte Staaten von Europa» vor. Ob die gemeinsame Sicherheits- und Aussenpolitik der heutigen Europäischen Union ein geistiges Kind von Churchills Idee ist, bleibt ein Zankapfel.
Das Urteil
An Sir Winston Churchill hat sich schon so mancher Darsteller die Zähne ausgebissen. So nahe wie in «Darkest Hour» ist dem englischen Staatsmann noch niemand gekommen. Von Gary Oldman sieht man in diesem Film praktisch nichts – mit Ausnahme seiner überragenden Schauspielkunst. Alles andere verschwindet komplett hinter der dicken Maske, die den drahtigen Mimen in das berühmt-berüchtigte Polit-Schwergewicht verwandelt.
Oldman lallt, nuschelt und grunzt sich in feinster Churchill-Manier durch den Film. Verblüffend lebensecht ist Joe Wrights Biopic vor allem dann, wenn es nicht die Stärken des Staatsmanns feiert, sondern dessen Schwächen ausleuchtet: Churchills Alkoholismus zum Beispiel oder seine Herrschsucht. Ein Säufer, der von seiner Frau «Schwein» genannt wurde, rettete einst Europa. Wer sich das vor Augen führt, fühlt sich – mit Blick auf unsere heutige Welt – gleich viel weniger verloren.
Kinostart: 11.1.2018