Grau, grausam und frauenfeindlich: Auf den ersten Blick ist es eine ganz gewöhnliche Bürohölle, in die sich Jane (Julia Garner) Tag für Tag begibt. Nur wer genau hinschaut, merkt allmählich: Dies ist nicht irgendein Büro im Amerika der Nullerjahre.
Dies ist das Büro des damals mächtigsten Filmproduzenten von New York, ja vielleicht der ganzen Welt. «The Assistant» setzt sich als erster Spielfilm mit Harvey Weinstein, dem mit Abstand prominentesten Feindbild der #MeToo-Bewegung, auseinander.
Und zwar so subtil, dass gewiss nicht alle Zuschauer begreifen werden, dass sich Janes tyrannischer Chef auf eine reale Person bezieht. Zumal der Name Harvey Weinstein nie fällt und dieser, wie viele Chefs, im Büro meist durch Abwesenheit glänzt.
Unsichtbar und doch omnipräsent
Zu Gesicht kriegt Jane den Big Boss in den 87 Minuten, die das mehrfach preisgekrönte Drama dauert, kein einziges Mal. Trotzdem prägt der übergriffige Machtmensch den Büroalltag wie kein Zweiter. Indem er seine Mitarbeiterinnen telefonisch zusammenstaucht, Termine platzen lässt und immer wieder Spuren seiner Exzesse hinterlässt.
Diese rechtzeitig zu tilgen, ist eine von vielen sonderbaren Aufgaben, die Jane als fleissige persönliche Assistentin des Chefs regelmässig zu erfüllen hat. Eine andere besteht darin, dessen Medikamenten-Schublade zu füllen: mit unzähligen Ampullen von Alprostadil, einem Erektionsmittel.
Als eines Tages eine blutjunge, neue Assistentin auftaucht, die vom Filmbusiness keine Ahnung hat, ist allen klar: Die wurde nur deshalb vom Big Boss engagiert, weil sie in dessen Beuteschema passt. Das geht Jane zu weit. Um den sich anbahnenden Missbrauch zu verhindern, wendet sie sich an den Personalchef, den vermeintlichen Sorgenonkel der Firma.
Achtsam gepflegte Kultur des Schweigens
Das ungemein realistische Gespräch mit diesem ist eines der Highlights des Films – in dramaturgischer und schauspielerischer Hinsicht. Weil es Matthew Macfadyen in dieser Szene gelingt, zunächst wie ein offener und verständnisvoller Vorgesetzter zu wirken.
Erst nach und nach wird klar, wie wenig ihn das Wohl seines Personals interessiert. Wirklich wichtig ist ihm bloss die achtsam gepflegte Firmenkultur des Schweigens, die den ganzen Laden am Laufen hält.
Wer Alarm schlagen will, muss folglich eingeschüchtert werden. Nicht mit markigen Worten. Sondern ganz subtil, mit manipulativen Bemerkungen: «Wollen Sie als kluge Frau wirklich ihre Karriere wegen vagen Vermutungen aufs Spiel setzen?»
Der ganz alltägliche Sexismus
«The Assistant» vermittelt ohne Zeter und Mordio, wie es sich anfühlen muss, für einen Sextäter wie Weinstein zu arbeiten. Geschrieben und inszeniert wurde der ausgesprochen reif wirkende Film von einer erstaunlich jungen Australierin.
Die inzwischen 36-jährige Kitty Green hatte bereits 2013 mit ihrem Regiedebüt «Ukraine Is Not A Brothel» für Aufsehen gesorgt. Nicht nur weil ihre Doku die Femen-Bewegung portätierte, die dank ihres barbusigen Feminismus’ global Schlagzeilen gemacht hatte.
Sondern auch, weil Greens filmisches Geschick schon damals ins Auge stach. Mit «The Assistant» festigt Green ihren guten Ruf: als nüchterne Chronistin des ganz alltäglichen Sexismus’.
Kinostart: 22. Oktober 2020
In einem ersten Titel für diesen Artikel wurde Harvey Weinstein mit einem «Monster» verglichen. Diese Bezeichnung war nicht angemessen. Der US-amerikanische Filmproduzent ist ein verurteilter Sextäter, aber auch er hat Anspruch auf die Achtung seiner Menschenwürde. Wir haben deshalb die unangemessene Bezeichnung entfernt und die Überschrift geändert.