Es ist das Jahr 1770. Marianne ist die Tochter eines renommierten Malers und eine der ersten eigenständigen Malerinnen. Sie soll ein Porträt von Héloïse malen.
Héloïse ist von ihrer Mutter, einer Comtesse, aus dem Kloster geholt worden. Sie soll in Mailand heiraten. Den Mann, für den eigentlich ihre Schwester vorgesehen war – bevor diese sich über die Klippen stürzte.
Das bestellte Porträt ist so etwas wie das finale «Verkaufsargument» für diese Ehe. Darum hat sich Héloïse bisher auch standhaft geweigert zu posieren. Der letzte Maler ist unverrichteter Dinge wieder abgereist. Aber das erfährt Marianne erst nach ihrer Ankunft.
Genau hingeschaut
Perfektion kann langweilen. Aber nicht mit diesem Film: Regisseurin und Drehbuchautorin Céline Sciamma trifft jeden Ton, setzt kein falsches Bild und spinnt ihre Geschichte durchsichtig und funkelnd.
Noémie Merlant spielt Marianne kämpferisch und entschlossen. Um Héloïse (Adèle Haenel) malen zu können, folgt sie dem Vorschlag der Comtesse (Valeria Golina) und gibt sich als Gesellschafterin aus.
Auf Spaziergängen am Strand und auf den Klippen soll sie die junge Frau genau beobachten und dann am Abend heimlich malen.
Die Annäherung gelingt, die zwei jungen Frauen kommen sich näher, Mariannes Arbeit schreitet voran, bis das Porträt fertig ist. Sie bittet die Mutter, es der Tochter zuerst zeigen zu dürfen, um der neuen Freundin zugleich den Verrat gestehen zu können.
Öl auf Leinwand
Héloïse reagiert entwaffnend und mit einer stechenden Direktheit: «Wer soll das sein?», fragt sie angesichts des konventionell gefälligen Bildes. «Du hast mich nie gesehen. Und falls doch, hast du deinen eigenen Blick auf mich verraten.»
Marianne murmelt zwar etwas von akademischen Konventionen und Regeln in der Malerei. Aber sie ist zutiefst getroffen. Während Héloïse ihre Mutter holt, wischt Marianne mit einer einzigen Geste das noch feuchte Gesicht auf dem Ölbild weg.
Die Comtesse will die Malerin wegschicken. Da erklärt sich Héloïse überraschend bereit, für Marianne zu sitzen.
So beginnt die zweite Annäherung der beiden jungen Frauen. Nun erkennen sie sich wieder und lernen sich wirklich kennen, gegenseitig und über die junge Hausangestellte Sophie (Luana Bajrami).
Alle Varianten eines Frauenlebens
Céline Sciamma packt eine hochverdichtete Emanzipationsgeschichte in zwei Stunden – eine schöne Liebesgeschichte, historisch akkurat durchziseliert und zugleich absolut gegenwärtig. Alle möglichen Varianten eines Frauenlebens werden durchgespielt.
Eine Abtreibung, gemeinsames Kochen, Kartenspielen: Das alles ist möglich geworden in den paar Tagen der Absenz der Comtesse, innerhalb der gesetzten Frist zur Fertigstellung des Porträts.
Humanistischer Feminismus
Es sind nicht nur der Titel und ein paar der ersten Einstellungen, welche an Jane Campions «The Piano und Portrait of a Lady» erinnern. Campions humanistischer Feminismus ist in seiner ganzen solidarischen Selbstverständlichkeit eine der Grundnoten dieses zutiefst liebevollen, unglaublich durchdachten Films.
Eine zweite Ebene des Films ist die Auseinandersetzung mit künstlerischen Konventionen. Mit den Restriktionen, welche sie den Frauen auferlegen – und mehr noch mit den Möglichkeiten, sich darüber hinwegzusetzen.
«Portrait de la jeune fille en feu» ist so einfach wie komplex, so anspielungsreich wie leicht verständlich. Der Film ist so unglaublich voll mit strahlender, schmerzlicher Schönheit, dass man sich fast fürchtet, den nächsten Film anzusehen.
Er kann nur abfallen gegen dieses runde, herzliche, herausfordernde und liebevoll verspielte Kunstwerk.
Kinostart: 24. Oktober