«Bin beim Ostereier suchen.» Die knappe Notiz, die Walter Stürm am 13. April 1981 bei seinem spektakulärsten Ausbruch hinterliess, spricht Bände: Der Mann hatte Humor. Und liess sich von niemandem die Freiheit nehmen.
Insgesamt achtmal gelang dem populärsten Räuber, den die Schweiz je gesehen hat, in den 1970ern, 80ern und 90ern die Flucht aus dem Gefängnis. Filmreifer Stoff, der es 2021 – über zwei Jahrzehnte nach seinem Freitod – auf die grosse Leinwand schaffte.
Joel Basman verkörpert den Ausbrecherkönig mit breitem St.-Galler-Dialekt und reichlich Schalk im Nacken. Überraschenderweise setzt «Stürm – Bis wir tot sind oder frei» nicht auf ihn als primäre Identifikationsfigur.
Stürms bessere Hälfte
Die eigentliche Heldin des Films dürfte kaum jemand kennen: Barbara Hug, Stürms Strafverteidigerin. Die körperlich durch ein Nierenleiden stark beeinträchtigte Anwältin wird von Marie Leuenberger gespielt.
Für die Freiheit ihrer Mandanten und bessere Haftbedingungen habe sich Hug «wie eine Wahnsinnige ins Zeug gelegt», sagt die mehrfach preisgekrönte Schauspielerin im Interview. Die eigene Gesundheit habe sie dabei sträflich vernachlässigt: «Anders als Stürm hat sie viel geraucht und getrunken. Sie lief an Krücken und betäubte ihre chronischen Schmerzen mit Morphium. Eine echte Kämpfernatur.»
Ob Walter Stürm in Barbara Hug auch in Wirklichkeit romantische Gefühle weckte, wie der Film suggeriert, spielt im Grunde keine Rolle. Fakt ist: Beide Parteien profitierten enorm voneinander.
Die Win-win-Situation beflügelte offensichtlich auch Marie Leuenberger und Joel Basman: Seine Verwandlungskunst stachelte ihre an – und umgekehrt. Mit «Stürm» stossen die zwei Schauspiel-Chamäleons in neue Sphären vor. Er als falscher Ostschweizer. Sie hinkend.
Warum der Vergleich mit Ché hinkt
Barbara Hug erkannte im Rebellen Walter Stürm eine Symbolfigur, die ihren politischen Forderungen ein Gesicht gab. Im Film macht sie den Ausbrecherkönig ihren «Genossen» vom Zürcher Anwaltskollektiv mit folgenden Worten schmackhaft: «Er ist clever, unterhaltsam, gewaltfrei. Auf das fahren die Leute doch ab. Mit ihm bringen wir unsere Botschaft rüber. Der Mann ist unser Ché!»
Anders als Ché Guevara verstand sich Stürm nie als politischer Mensch. Gesellschaftspolitische Fragen interessierten den Poster-Boy der Linken nur, wenn sie seine eigenes Lebenbetrafen. Das Essen schien dabei eine besonders wichtige Rolle zu spielen.
«Es kostet nichts, ein gutes Birchermüesli zu machen», wird der stürmische Beamtenschreck im Film direkt zitiert: «Und trotzdem wird’s im Knast beschissen gemacht. Weil sie dir die Würde nehmen wollen. Nur darum geht’s: die Menschenwürde!»
Müesli als Mass für Menschenwürde
«Es ist ihm nie ums Birchermüesli gegangen», sagt Stürm-Darsteller Joel Basman im Interview: «Sondern darum, den bürokratischen Staat mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Und das hat er geschafft.»
Stürms bockiges Verhalten den Beamten gegenüber als kindisch abzukanzeln, werde der Sache nicht gerecht, findet Basman: «Ich würde es sogar als höchst erwachsen bezeichnen. Denn in der Schweiz von damals würden wir alle nicht leben wollen.»
In einem Punkt gab sogar Amnesty International Stürm recht: Die Gefängnisverordnung der Schweiz verstiess lange gegen die Menschenrechtskonvention. Was im Kanton Jura 1991 tatsächlich zu einer Revision im Sinne der Insassen führte.