Windgeräusche. Sphärische Klänge. Eine Kamera schwebt durch ein leeres Labor – bis zu einem freigelegten Gehirn in einer Schale.
Jean-Stéphane Bron dockt gerne beim Genrekino an. «L’expérience Blocher», die dokumentarische Begegnung mit dem reichen Mann von Herrliberg, bezeichnete er einst als seinen Vampirfilm.
Und nun, da er den Hirnforschern zuhört, weckt er unsere Neugier mit einem Hauch von «Alien», dem Klang von Science-Fiction. Ironisch, subtil.
Das Denken hören
Unser Gehirn besteht aus 60 Milliarden Neuronen. Die Neuronen kommunizieren untereinander mit elektrischen Signalen. Wenn man die verstärkt, kann man sie hören. Und schon britzelt es auf der Tonspur.
Das Denken hören – wenn man es schon nicht sehen kann: Das ist typisch für Jean-Stéphane Bron. Der Filmemacher aus Lausanne macht komplexe Dinge nicht einfach. Aber anschaulich.
Jean-Stéphane Bron bringt uns fünf Forscherinnen und Forscher und ihre Arbeit näher. Er schlägt einen Bogen von der abstrakten mathematischen Simulation des Denkens für die Programmierung künstlicher Intelligenz bis hin zu den praktischen Versuchen der Lausanner Physikerin Aude Billard, die versucht, mechanischen Armen das Feingefühl menschlichen Greifens beizubringen.
Verblüffende Fragen, kluge Antworten
Da fragt eine junge Frau ihren in Oxford forschenden Bruder, ob diese angestrebte künstliche Intelligenz KI denn versuche, die Vorgänge in unserem Gehirn exakt abzubilden, wie der Vater der beiden es versucht.
Bei dessen Arbeit, so bekommt sie von ihrem Bruder zu hören, gehe es eher um die Resultate. Eine KI für ein selbstfahrendes Autor müsse nicht denken können wie ein Mensch, aber richtig reagieren.
Das wiederum führt die junge Frau zu der verblüffenden Frage, ob es also intelligentere Arten gebe, zu Resultaten zu kommen, als sie unser Gehirn benutze?
Hirn und Hemd
Jean-Stéphane Brons Dokumentarfilm braucht keinen Kommentar, wenig Texteinblendungen. Die Informationen und Fragestellungen tauchen fast beiläufig im Dialog der Protagonisten auf.
Der Genfer Neurowissenschaftler Alexandre Pouget, Vater der fragenden Töchter und des in Oxford forschenden Sohnes, ist dezidiert der Meinung, unser Gehirn funktioniere nicht speziell anders als das anderer Lebewesen.
Was Jean-Stéphane Bron sogleich in Frage stellt, indem er die Bilder des Koffer packenden Alexandre mit dem uns bereits bekannten Denk-Britzeln unterlegt. Wir hören, wie Alexandres Gehirn seine Hemden auswählt. Fühlt sich eben doch speziell an.
Der eigentliche Star des Films, Neurowissenschaftler Christof Koch, denkt über die Seele nach. Als Katholik sei er mit einer Art verbesserten Seele 2.0 aufgewachsen. Aber auch die verschwinde, wenn sich sein Gehirn und sein Körper auflösen.
Eine lehrreiche Reise
«The Brain – cinq nouvelles du cerveau» ist eine schlüssige, unterhaltsame und extrem lehrreiche Reise durch den vermittelbaren Teil der aktuellen Gehirnforschung – mit ihren erschreckenden Ideen, aber auchzutiefst menschlichen Bemühungen.
Da wären die Versuche von Niels Birbaumer, vollständig gelähmten Menschen mit dem sogenannten «Locked-In-Syndrom» über Gehirn-Computer-Interaktionen die Kommunikation wieder zu ermöglichen.
Kinostart: 26.8.2021