«Dr. No», der erste James Bond Film, hatte seine Weltpremiere am 10. Oktober 1962. Das war sechs Tage bevor bekannt wurde, dass Chruschtschow und Fidel Castro übereingekommen waren, in Kuba sowjetische Atomraketen zu stationieren. Die sogenannte Kubakrise war einer der Höhepunkte des Kalten Krieges.
Der Angst auf die Spur kommen
Dominic Cooke, ein britischer Theaterregisseur mit einiger Filmerfahrung, kam zwar erst vier Jahre nach der Kubakrise zur Welt, aber der Kalte Krieg und die Vorstellung, die Welt könnte jederzeit im nuklearen Schlagabtausch untergehen, hat auch seine Kindheit geprägt. Seine Mutter habe ihm erzählt, dass die Menschen in England während der Kubakrise wirklich glaubten, sie würden sterben, erinnert er sich.
Dieser Angst auf die Spur zu kommen, nachzufühlen, wie es war, obwohl wir heute wissen, dass der atomare Weltkrieg nicht stattgefunden hat, sei einer der Gründe gewesen, warum er diesen Film machen wollte, so Dominic Cooke.
Der berühmteste Maulwurf des Kalten Krieges
«The Courier» setzt 1960 ein, mit einer nachgestellten Rede von Chruschtschow, welche dieser tatsächlich gehalten hatte – und der wohl auch der real existierende Geheimdienstoberst Oleg Penkowski zugehört hatte. Jener Penkowski, der danach bereit war, den Westen Schritt für Schritt über die sowjetischen Nuklearpläne zu informieren, um den Atomkrieg zu verhindern.
In London laden CIA-Agentin Emily Donovan (Rachel Brosnahan) und Dickie Franks (Angus Wright) vom britischen Geheimdienst MI6 den Geschäftsmann Greville Wynne (Benedict Cumberbatch) zum Lunch ein. Ob er nicht vielleicht seine Handelsgeschäfte auf Moskau und die Sowjetunion ausdehnen könnte, fragt der MI6-Mann den überraschten Wynne, der keine Ahnung hatte, dass sein einstiger Schulfreund mehr als ein kleiner Zivilbeamter geworden ist.
Naiver Geschäftsmann und Agent
Der Film von Dominic Cooke rekonstruiert die reale, fast unglaubliche Geschichte, die 1964 mit dem Austausch des Briten gegen den Sowjetagenten Konon Molodi und mit der Hinrichtung des realen Oleg Penkowski in der Sowjetunion endete.
In England ist die Geschichte von Greville Wynne nie aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden. Der Geschäftsmann, der 1990 gestorben ist, hat schon 1967 und 1981 die abenteuerliche Geschichte seiner Freundschaft mit dem sowjetischen Geheimdienstoberst publiziert.
Wynne ist ein «Everyman», der in seiner Jugend Ambitionen hegte, gut geheiratet hat, und nun als Geschäftsmann eher gelangweilt ein von Martini-Lunches und Networking-Golf-Partien geprägtes Leben führt, bis ihn der klandestine «Ruf des Vaterlandes» mitten in die Gefahren und Intrigen des Kalten Krieges in Moskau führt.
Bravouröser Benedict Cumberbatch
«The Courier» ist vor allem atmosphärisch ein Instant-Klassiker. Die «Spione» sind realistisch gezeichnet, näher bei John Le Carrés George Smiley als bei Ian Flemings James Bond.
Benedict Cumberbatch ist einmal mehr grossartig. Es gelingt ihm, die Angst, den Stolz und vor allem die aufrechte Emotionalität seiner schillernden Figur vor dem realistischen Hintergrund der staubigen britischen Klassengesellschaft der 1960er-Jahre fühlbar zu machen.
Dominic Cooke und sein Filmteam haben in Prag, das für Moskau herhalten musste, und in London ein überzeugendes, paranoid aufgeladenes Zeitkolorit geschaffen.
Der Film nutzt geschickt «altmodische» filmische Tricks aus der Zeit, etwa überlappende Tonspuren, die schon einsetzen, bevor die Szene im Bild zu sehen ist, oder Figuren, deren Gesicht erst allmählich ganz zu sehen ist – was eine gespannte Erwartungshaltung erzeugt.
Kinostart: 03.06.2021