«Our Goya’s gone!» – so titelten 1961 die Gazetten. London stand unter Schock: Kurz nachdem die Nationalgalerie ihr neustes Ausstellungsstück erworben hatte, war dieses auch schon wieder weg. Irgendwer hatte sich Goyas Porträt des Herzogs von Wellington – besser bekannt als «The Duke» – über Nacht unter den Nagel gerissen.
Die Polizei fahndete in der Folge nach einem kriminellen Mastermind und tappte mit dieser Vermutung völlig im Dunklen. Die Popkultur griff das Thema derweil dankend auf: Geheimagent James Bond entdeckte das Gemälde 1962 im Rahmen seines ersten Kinoabenteuers im Dienste Ihrer Majestät. Kein Geringerer als Superschurke «Dr. No» hatte sich das berühmte Bild geschnappt.
Für die britische Komödie «The Duke» ist der magische Moment, in dem Sean Connery als James Bond das Gemälde erblickt, ein gefundenes Fressen. Regisseur Roger Michell webt diese Szene geschickt in seinen Film ein. Er nutzt sie für einen Lacher, der an Aussagekraft kaum zu toppen ist. Denn er lässt das Publikum erkennen, wie stark das Verschwinden des Porträts damals die Welt in Atem gehalten hat.
Aufgeschoben, nicht aufgehoben
Die wahre Geschichte, auf der «The Duke» fusst, sorgte in den 60ern für fette Schlagzeilen. Doch wie so vieles, wurde sie im Laufe der Jahre beinahe gänzlich vergessen. «Nicht einmal in England erinnern sich die Leute heute noch daran», erklärte uns Roger Michell in Venedig, wo die Komödie 2020 Weltpremiere feierte.
Fast in Vergessenheit geriet danach leider auch Michells nostalgischer Film. Wegen Corona wurde der Kinostart immer wieder verschoben. Sehr zum Ärger des Regisseurs, der im September 2021 – nur wenige Tage nach dem US-Start – das Zeitliche segnete.
Der plötzliche Tod des 65-Jährigen traf die meisten völlig unvorbereitet. Julia Roberts, mit der Michell 1999 den Kassenhit «Notting Hill» gedreht hatte, zeigte sich regelrecht erschüttert über das Ableben des «gütigen und sanftmütigen Mannes». Der Komödienspezialist sei für sein «liebevolles Lächeln» bekannt gewesen. Und ein solches zaubert einem auch Michells letzter Spielfilm ins Gesicht.
Herrlich schrulliger Querulant
«The Duke» ist Schmunzelkino vom Feinsten, in dem Michell einen irritierten Sicherheitsmann freundlich fragen lässt: «Nehmen Sie da eines unserer Bilder mit?»
«Ganz im Gegenteil», antwortet der angesprochene Gemäldeträger: «Ich bringe eines zurück!»
Tatsächlich hatte ein Mann mit dem wunderlichen Namen Kempton Bunton Goyas Kunstwerk vier Jahre nach dessen Verschwinden freiwillig ins Museum zurückgebracht. Im Film findet die Rückgabe viel früher, nämlich bereits nach drei Monaten statt. Was den von Jim Broadbent hingebungsvoll gespielten, fehlbaren Helden noch eine Spur sympathischer macht.
Künstlerische Freiheiten nimmt sich die Verfilmung freilich auch bei der Darstellung des anschliessenden Gerichtsprozesses gegen den quirligen Querulanten. Doch das erstaunliche Verdikt bleibt dasselbe. Dank geschickter, juristischer Winkelzüge von Buntons Anwalt kommen die Geschworenen zum Schluss: Das Gemälde wurde nur geliehen, nicht gestohlen.
Geborgt, nicht geklaut
Ein Urteil, das Regisseur Michell zu einem gewagten Vergleich animierte: «Bunton borgte sich das Bild nur. So wie man dies mit dem Rasenmäher des Nachbarn tut.»
Roger Michell sagte uns dies mit dem schelmischen Lächeln eines Mannes, der die Besitzverhältnisse gerne durchgeschüttelt hat. Wovon noch mehr Leute gerührt sein dürften als von seinem letzten Helden Kempton Bunton.
Kinostart: 12. Mai 2022