Wer zählt noch mit, wer kennt sich wirklich aus? «The Marvels» ist der 33. Film im sich ständig ausdehnenden Marvel Cinematic Universe (MCU). Um hier die Orientierung zu behalten, braucht man ein gutes Gedächtnis – und eine Menge Zeit. Zumal man neben den vielen Kinofilmen auch noch all die Marvel-Serien gesehen haben sollte, die auf dem Streaming-Kanal Disney+ laufen.
«The Marvels» ist nämlich nicht nur die Fortsetzung des Kassenschlagers «Captain Marvel». Das Sequel spinnt zugleich die Geschichten der Miniserien «WandaVision» und «Ms. Marvel» weiter. Wer diese nicht gesehen hat, muss sich zusammenreimen, wer die zwei neuen Sidekicks von Carol Danvers alias Captain Marvel sind.
Auf der einen Seite wäre da ihr Superfan Kamala Khan, eine Tochter pakistanischer Einwanderer, die als linkische «Ms. Marvel» ihrem übermenschlichen Idol nacheifert. Auf der anderen Carol Danvers Nichte Monica Rambeau, die erst in «WandaVision» zu Superkräften kam.
Ganz schön verworren
Zusammengeschweisst werden die drei Heldinnen durch eine Anomalie im All, welche die Handlungen der Protagonistinnen auf wundersame Weise miteinander verknüpft. Immer wenn Captain Marvel oder ihre zwei Sidekicks nun Vollgas geben, werden sie durch ein Wurmloch weggeschleudert. Und zwar genau dorthin, wo sich ihre Kolleginnen gerade befinden.
Welche zwei der drei Damen dabei Plätze tauschen, lässt sich nie vorhersagen. Die fliegenden Wechsel folgen keiner inneren Logik. Sie sind vielmehr Ausdruck der offenkundigen Absicht, möglichst viel Komik und Spannung zu erzeugen.
Gelingen will das Regisseurin Nia DaCosta – laut Presseheft selbst ein Marvel-Superfan – leider nicht. «The Marvels» wird vor allem durch seine Lücken in Erinnerung bleiben. Wer die Leere füllen möchte, darf die Wurmlöcher getrost als symbolische Manifestation der Handlungslöcher lesen.
Reichlich Schatten, wenig Licht
Die eigentliche Handlung ist kaum der Rede wert: Captain Marvel führt einfach ihren Kampf gegen das mächtige Volk der Kree fort. Ihr böses Gegenüber heisst diesmal Dar-Benn und ist – anders als in den Comics – weiblich. Sie eine Superschurkin zu nennen wäre jedoch übertrieben: Denn super ist an dieser konturlosen Figur rein gar nichts.
Überhaupt wirkt gemessen an den satten Produktionskosten von 250 Millionen Dollar so manches erstaunlich matt: die hingeschluderten Spezialeffekte genauso wie das hanebüchene Drehbuch. Auch das Schauspiel wirkt weitgehend lustlos – mit einer Ausnahme: Die in Pakistan geborene Newcomerin Iman Vellani bringt als Kamala Khan genau die überbordende Energie auf die Leinwand, die ihre Rolle braucht.
Katzen bis zum Kollaps?
Ein Blick auf die Zahlen macht klar: Seit Corona steckt Marvel in der Krise. Nur einen einzigen Hit landete Disneys einst so verlässliche Cash-Cow in diesem Jahr: «Guardians of the Galaxy 3», inszeniert von James Gunn. Ausgerechnet dem Mann, der nun bei Konkurrent DC das Zepter schwingt.
Was also tun in diesen düsteren Zeiten? Katzen gehen immer! Im Wissen darum ordnete Marvels Mastermind Kevin Feige eine Extraportion «Flerken» an. So heissen die wie Stubentiger aussehenden Monster, die in «Captain Marvel» ins MCU eingeführt wurden und nun als fleischgewordener Running Gag die Fortsetzung dominieren. Katzen mögen das Netz regieren. Doch Marvels Kino-Universum werden die gefrässigen Samtpfoten nicht retten können.
Kinostart: 8.11.2023