Als SRF-Filmredaktor Michael Sennhauser diesen Frühling in Cannes das Kino verliess, war er alles andere als begeistert. Er hatte eben einen zweieinhalbstündigen Film gesehen, auf dessen Höhepunkt die reichen Passagiere einer Luxusjacht nicht nur ungebremst kotzen – die Übelkeit dringt aus allen Löchern ihrer Körper.
So hatte es sich Regisseur Ruben Östlund gewünscht. Und so hat er das zweite Kapitel des Films – «Die Jacht» – auch gefilmt: in Anlehnung an die exzessiven Gesellschaftssatiren der 1970er-Jahre. Da war zum Beispiel «Das grosse Fressen» von Marco Ferreri, in dem sich eine Gruppe von Männern in einer Villa zu Tode fressen.
Hatten wir doch alles schon?
Im dritten Kapitel – «Die Insel» – von Östlunds Film retten sie die Passagiere nach dem Untergang der Jacht auf eine einsame Insel. Plötzlich haben nicht mehr die Reichen das Sagen, sondern die philippinische Toilettenfrau, die als einzige weiss, wie man fischt und Fische zubereitet.
Diese Umkehrung der Machtverhältnisse auf einer Insel: Das hatte doch Lina Wertmüller 1973 bereits durchgespielt?
Eine Überraschung für fast alle
Ein paar Tage nach der Premiere im Mai dieses Jahres gewann «Triangle of Sadness» die Goldene Palme. Eine Überraschung für viele Kritiker und Kritikerinnen – auch für Redaktor Sennhauser. Dennoch eine erfreuliche: «Denn die hemmungslos grotesken Szenen gehen einem nicht mehr aus dem Kopf», so Sennhauser.
Diesen Moment, in dem der fette, russische Oligarch das Influencer-Pärchen auf der Luxusjacht beim Instagram-Shooting sieht und anerkennend feststellt: «Euer Aussehen zahlt also für eure Tickets.» Worauf der blonde Influencer brav zurückfragt, womit der Oligarch denn sein Geld verdiene.
«Ich verkaufe Scheisse», sagt der mit Stolz. Denn er ist als Händler für Düngemittel reich geworden.
Ganz ähnlich ein nettes britisches Ehepaar an Bord: Deren Industrie sichere den Frieden, wie sie erklären. Ihre Fabrik stellt Handgranaten her. Die gleichen Handgranaten, welche die Piraten benutzen, um das Luxus-Schiff zu versenken.
Subtil ist nur der Titel
Nein, subtil ist «The Triangle of Sadness» nicht. Allenfalls ganz am Anfang, als das Influencer-Paar beim Modeln gezeigt wird. Da fragt ein Journalist ironisch, ob das Model-Casting für eine mürrische Marke sei oder für eine lächelnde Marke.
Der Unterschied, so stellt sich heraus, liegt beim Preis für die Kleider. Bei Billigmarken lächeln die Models. Bei teuren dagegen schauen sie blasiert, um auszudrücken, dass sich Normalsterbliche diese Marke nicht leisten können.
Ähnlich subtil funktioniert auch der Filmtitel: Als Dreieck der Traurigkeit wird in der Schönheitsindustrie offenbar jene Stirnfalte zwischen den Augen bezeichnet, die man am einfachsten mit Botox, also mit Gift, wegbringt.
Giftig und lustig
Womit der Film sein eigenes Rezept offen legt: Diese Gesellschaftssatire von Ruben Östlund ist ziemlich giftig. Und gerade darum lustig.
Was auch das mehrheitlich begeisterte Kinopublikum für «Triangle of Sadness» bestätigt. Der Film funktioniert am besten in einem möglichst vollen Saal, in dem sich ungläubige Blicke mit dröhnendem Gelächter kreuzen können.
Auch Filmredaktor Michael Sennhauser stellt mit einem zweiten Blick auf «Triangle of Sadness» fest: Vielleicht mache gerade das plakativ Simple den Erfolg des Films aus.
Kinostart am 13.10.2022