Wer sich auf romantische Motive einlässt, muss etwas wagen, eintauchen, abtauchen.
Das tun sie denn auch bei Petzold, seine Undine (Paula Beer) und ihr Christoph (Franz Rogowski), immer wieder.
Er, weil er als Industrietaucher arbeitet und im Stausee Turbinen-Einlässe repariert. Und sie, weil sie Undine ist.
Berlin, der entwässerte Sumpf
Eigentlich ist sie promovierte Historikerin und heisst Undine Wibeau. Das erklärt sie immer zu Beginn ihrer Vorträge zur Berliner Stadtentwicklung im Auftrag der Senatorin.
Man erfährt da viel Faszinierendes: Zum Beispiel über die Geschichte des Berliner Stadtschlosses und die eigenartigen Entwicklungen, die zum Humboldt-Forum führten.
Oder über die Etymologie des Städtenamens Berlin, der aus dem Slawischen kommt und soviel wie trockene Stelle im Sumpf bedeutet.
Sagenhaft hässlich
Noch spannender ist die Arbeit von Christoph, der vom unverwechselbaren Charismatiker Franz Rogowski gespielt wird.
Wenn wir mit ihm abtauchen zu Schweissarbeiten unter Wasser, kommen auch wir in Genuss einer Begegnung mit Gunther, dem sagenumwobenen, riesigen Wels im Stausee.
Christophs Tauchteam-Kollegin Monika (Maryam Zaree) glaubt ihm kein Wort, bis sie auf dem Laptop im Einsatzwagen die Unterwasseraufnahmen von Christophs Tauchhelmkamera sieht: «Gunther, du bist hässlich!»
Furiose Startsequenz
Aber da haben wir das Crescendo des Anfangs schon hinter uns, Christoph und Undine auch.
Dabei ist die erste Einstellung des Films fast statisch, die Kamera blickt erstaunt auf das Gesicht von Paula Beer. Und wir brauchen ein wenig länger als Undine selbst, um zu begreifen, dass ihr Freund Johannes (Jacob Matschenz) ihr da eben den Laufpass gegeben hat.
Was sich eine Undine natürlich nicht bieten lassen kann: «Du bleibst hier sitzen bis ich von der Arbeit wiederkomme», erklärt sie ihm: «Dann sagst Du mir, dass Du mich liebst. Sonst muss ich dich töten.»
Romantische Elementarkräfte
Wir wissen: Sie ist Undine. Wir kennen die mythische Figur, wir wissen, da dürfte was dran sein.
Johannes weiss es nicht: «Lass den Scheiss!», sagt er.
Kurz darauf kommt es zur Begegnung von Undine und Christoph, unter dem platzenden Aquarium im Café gegenüber. Inmitten zappelnder Fische auf dem nassen Boden zieht er Undine ein paar Scherben aus der Brust und sie verlieben sich.
Petzold erfindet sich neu
Nein, das ist kein Petzold-Film wie die bisherigen. Oder auch, aber anders.
Schon die Bezüge zur realen Welt sind eine Spur fantastischer, sei es über Undines Vorträge oder Christophs ungewöhnliche Arbeit.
Andererseits haben wir bei Petzold auch schon unwissentlich die Geschichte einer ertrunkenen Frau miterlebt, gespielt von Nina Hoss, in «Yella».
Privater, romantischer, verspielter
Wir sollten uns also nicht wundern, wenn der Filmemacher aus dem Undine-Stoff mehr herausholt. Mehr Tragik auch, ja Gänsehaut sogar.
Mehr soll hier nicht verraten werden. Nicht alle werden mögen, was Christian Petzold mit diesem Film gebaut hat, nicht einmal alle Petzold-Fans.
Nach dem grossen tragischen Atem von «Phoenix» und der unangreifbaren Wucht von «Transit» ist diese Geschichte privater, romantischer und deutlich verspielter auch. Und einmal mehr richtiges Kino, mit allem, was dazugehört.
Kinostart: 27.08.2020