Die Washington Post gab ihm einst den Spitznamen «Prince of Darkness». Diese Wesensbeschreibung trifft den dunklen Kern der Sache recht gut. Schliesslich bezeichnete sich der republikanische US-Politiker Dick Cheney selbst gerne als «das böse Genie in der Ecke, das keiner je sieht».
Adam McKay hat passend dazu nun ein pointiertes Porträt des Schattenmanns geschaffen. Schon früh zog Cheney im Hintergrund die Fäden: Dank Präsident Ford, der ihn 1975 zum jüngsten Stabschef des Weissen Hauses ernannt hatte. Ab 1989 wirkte er als Verteidigungsminister unter George Bush Senior.
Am meisten Einfluss übte Cheney aber zwischen 2001 und 2009 als Vizepräsident aus. Indem er für seinen überforderten Vorgesetzten George Bush Junior das Tagesgeschäft erledigte: Verwaltung, Militär, Energie, sowie Aussenpolitik. Still und leise avancierte Cheney so zum mächtigsten US-Vize aller Zeiten.
Machtgeil wie Trump und doch ganz anders
Ähnlich wie Trump sehnte sich Cheney nach der totalen Kontrolle. Vom Auftreten her könnten Cheney und Trump allerdings kaum unterschiedlicher sein. «Vice»-Hauptdarsteller Christian Bale brachte dies an der Pressekonferenz gut auf den Punkt:
«Cheney war immer furchtbar darin, sich öffentlich zu inszenieren. Er hasste das. Trump scheint dagegen nichts mehr zu lieben. Cheney verstand die Kraft des Schweigens. Das kann man von Trump wahrlich nicht behaupten.»
Der Film zeigt, wie der wortkarge Hinterzimmer-Machiavelli den Kompetenzbereich seines Postens massiv ausdehnte. Mittels juristischer Winkelzüge definierte er völlig neu, was ein Vizepräsident tun und lassen darf. So initiierte er zum Beispiel den völkerrechtswidrigen US-Einmarsch in den Irak.
Deutliche Worte vom Hollywoodstar
Wie Cheney-Darsteller Christian Bale in seiner Rolle verschwindet, ist grosses Kino. Der 45-Jährige, der als Favorit ins Oscarrennen geht, erntete in Berlin zurecht viel Applaus. Nicht nur für seine Verwandlungskunst. Sondern auch, weil er an der Pressekonferenz Cheneys Kriegstreiberei scharf kritisierte:
«Manchmal frage ich mich: Wird Cheney nachts von Dämonen heimgesucht? Er bestreitet das. Aber kann das wahr sein? Kann man wirklich gut schlafen, nachdem man Leute in einen komplett unethischen Krieg geführt hat?»
Wir erinnern uns: Auf Cheneys Initiative wurden 2003 US-Truppen in den Irak gesandt. Unter dem Vorwand, Saddam Hussein besitze Massenvernichtungswaffen. Eine glatte Lüge, wie sich später herausstellte. Und nicht der letzte Trick des Falschspielers, dessen Ruchlosigkeit lange unterschätzt wurde.
Gesellschaftskritik vom Comedy-Spezialisten
Hat Dick Cheney Amerika zu dem pervertiert, was es heute ist? Regisseur Adam McKay legt einem diese Deutung nahe: Für ihn ist Trump die logische Folge von Cheneys Machtmissbrauch.
«Vice» ist erst der zweite Film, mit dem McKay mehr als nur unterhalten will. Bis zu «The Big Short» (2015) hatte er ausschliesslich Komödien gedreht. In Berlin erklärte er seinen Wandel:
«Als die Weltwirtschaft kollabierte, wusste ich: Witze allein reichen nicht mehr. Meine sozialkritischen Filme sind eine Reaktion auf die Welt, in der wir heute leben.»
Nach dem Abspann geht’s erst richtig los
Aus Kinosicht ist McKays kreative Neuausrichtung ein Gewinn. Für seine Finanzkrisenstudie «The Big Short» gewann McKay auf Anhieb den Drehbuch-Oscar. «Vice» könnte gar acht Academy Awards abräumen. Gut möglich also, dass McKay schon bald ein weiteres Goldmännchen sein Eigen nennen darf.
Verdient hätte er es. Weil McKay wie kein Zweiter komplexe Zusammenhänge aufzudröseln weiss. «Vice» ist clevere Unterhaltung, die aufklärt und überrascht. Indem zum Beispiel bereits nach 40 Minuten ein Happy End vorgegaukelt wird.
Nach Cheneys vermeintlichem Rückzug aus der Politik rollt ein falscher Abspann zu Fanfarenklängen. Ein bittersüsser Gag, der das eingelullte Publikum wachrüttelt und ahnen lässt: Das eigentliche Drama hat soeben erst begonnen.
Kinostart: 21.2.2019