«Wen beerdigen wir hier eigentlich? Pierre?», fragt die verwirrte alte Dame auf dem Weg von der Kirche zum Friedhof. «Nein, dein Sohn Pierre läuft hinter dir», wird ihr geantwortet, «Opa ist gestorben, dein Mann.» Worauf die frischgebackene, senile Witwe ohne ernsthafte Anzeichen der Besorgnis seufzt: «Och, der Ärmste!»
Mit dieser Szene zu Beginn des Films ist der Ansatz von «Photo de famille» bereits klar umrissen: Gegeben wird ein ironisch-melancholisches Familiendrama mit einem Hauch von warmherzigem, aber schwarzem Humor.
Die Sorte von Film, der man anmerkt, dass die Filmemacherin (in diesem Fall Cécilia Rouaud) all ihre Figuren innig liebt, trotz ihren teils deftigen Macken.
Kein «Honig im Kopf»
Was in der geschilderten Szene ebenfalls klar wird: Auf eine realistische, komplexe Darstellung von Alzheimerdemenz muss man verzichten. Oma lächelt einfach entrückt vor sich hin: Etwa so wie Dieter Hallervorden in Til Schweigers «Honig im Kopf». Wobei der Vergleich der beiden Filme hinkt: Der Druck auf die Tränendrüse ist hier weniger forciert, dafür facettenreicher.
Grossmutters Demenz ist nicht das Zentrum, sondern der Auslöser der Handlung: Die voneinander entfremdeten Nachkommen müssen nun gemeinsam an einen Tisch sitzen. Das Altersheim ist vorerst keine Option – stattdessen wird ein Betreuungsturnus mit Kollektivverantwortung ins Auge gefasst.
Ticks und Neurosen
Es fragt sich, wie das gehen soll: Der jüngste Sohn der Familie ist ein weltfremder Gamedesigner mit Suizidgedanken, die mittlere Tochter hat bizarre Alpträume und einen unerfüllten Kinderwunsch, der Vater ist mit einer Geliebten unterwegs, die jünger ist als seine beiden Töchter. Und der einzige Enkel passt eher auf seine Mutter (Vanessa Paradis) auf als umgekehrt.
Die Figuren sind alle zutiefst mit sich selbst beschäftigt, und nur langsam dringt zu ihnen durch, dass Oma ihnen dringend etwas sagen möchte: Sie würde gern nach Saint-Julien fahren. An diesem Ort hatte die Familie in den Ferien noch Zusammenhalt gekannt. Doch bevor ein solcher Urlaub wieder möglich wird, muss noch manche Hürde genommen werden.
Mehr Biss als Kitsch
«Photo de famille» ist formal betrachtet sicher keine Ausnahmeerscheinung am französischen Filmhimmel: Die generationenübergreifende Ensemble-Komödie mit dramatischem Touch ist nicht nur in Frankreich ein weitgehend etabliertes Genre.
Mit Jean-Pierre Bacri ist hier auch ein Schauspieler an Bord, der als Co-Autor mit seiner Partnerin Agnès Jaoui bereits vergleichbare Rollen in vergleichbaren Projekten gestemmt hat – zuletzt in «Place publique».
Doch es sind andere Referenzen, die dafür sorgen, dass «Photo de famille» eher bissig ist als kitschig: Man denkt etwa an Woody Allens bittersüsse Familienfilme aus den Achtzigern («Hannah and Her Sisters», «September»), und vor allem wird in «Photo de famille» wiederholt ein Klassiker zitiert, den man gar nicht genug zitieren kann: «Harold and Maude».
Kinostart: 16.5.2019