Es sei ihr doch immer nur um Kunst und Ästhetik gegangen: An dieser biografischen Legende hielt Leni Riefenstahl bis zu ihrem Tod 2003 zeitlebens eisern fest. Ihre Filmbilder von gestählten Sportlerkörpern oder von Stadien voller begeisterter Nazi-Massen sind ins kollektive Gedächtnis eingeschrieben.
Im Auftrag der Nazis drehte sie Filme wie «Triumph des Willens» und «Olympia». Als letzterer 1938 am Filmfestival Venedig die «Coppa Mussolini» für den besten ausländischen Film bekam, schickte Hitler Glückwünsche und Rosen.
Riefenstahls Nachlass
Der deutsche Filmemacher Andreas Veiel zeigt im Film «Riefenstahl» – ausschliesslich mit Archivmaterial und einem darüber gesprochenen Kommentar – wie die 2003 gestorbene Filmregisseurin zeitlebens das Bild der unschuldigen Künstlerin aufrecht hielt. Als Erster erhielt er uneingeschränkten Zugang zum Nachlass Riefenstahls.
Neben Fotos und Dokumenten finden sich darin auch Interviews, von private Telefongespräche und Aufnahmen von 1993 für den Dokumentarfilm «Die Macht der Bilder».
Daraus ist eine Szene, in der Riefenstahl,schon über 90-jährig, im Schnittraum sitzt und sich eine Szene aus «Triumph des Willens» anschaut. Das war ein Propagandafilm über den ersten Reichsparteitag der Nazis in Nürnberg 1934. Sie freut sich über ihre Kameraarbeit und über den Schnitt, der so perfekt der Marschmusik angepasst sei. Zu sehen sind marschierende Massen, im Hintergrund Hakenkreuzflaggen und das Podest mit Hitler und anderen ranghohen Nazis.
Hitlers Lieblingsregisseurin
Politik, das habe sie nie interessiert und das sei überhaupt das Gegenteil von dem, was sie in ihrem Leben ausschliesslich beschäftigt habe, sagt sie einmal in einem Interview: Das sei die Kunst.
«Riefenstahl» ist das komplexe Porträt einer ehrgeizigen und zweifellos begabten Filmemacherin. Im Fahrwasser Hitlers, Goebbels und Alfred Speers – mit dem sie zeitlebens befreundet war – feierte sie grosse Erfolge.
Doch nach dem Krieg und Zusammenbruch des Dritten Reichs brach auch Riefenstahls Karriere zusammen. Veiels Film ergründet, wie sie bis zu ihrem Tod darum kämpft, die Hoheit über ihre Biografie zu bewahren. Er zeigt, wie sie die Legende der unschuldigen Künstlerin in jedem Interview immer wieder verteidigt. Andreas Veiel aber schaut mit der Lupe hin und entlarvt Widersprüche.
Risse im Selbstbild
Der Filmemacher hat im Privatarchiv der Regisseurin brisantes Material ausgegraben, das ihr behauptetes Nichtwissen immer wieder untergräbt.
Aber der Dokumentarfilm ist auch deshalb so überraschend und gut, weil er sich nicht nur auf die simple Entlarvung verlegt, das haben andere vor ihm schon gemacht.
Er ist dort am spannendsten, wo Riefenstahls krampfhaft aufrechterhaltenes Selbstbild Risse bekommt: Bisher unveröffentlichte Szenen zeigen sie, wie sie mit unkontrollierten Wutausbrüchen auf unbequeme Fragen reagiert. Grossaufnahmen auf ihr Gesicht in Superzeitlupe entlarven, wie sie in Interviews nach kritischen Fragen kämpfen muss, um die Fassung zu wahren.
Riefenstahl sorgte vehement dafür, dass solche Szenen zu ihrer Lebzeit nicht an die Öffentlichkeit gelangten – bis zuletzt arbeitete sie an der Legende der unpolitischen Künstlerin. Der ungemein spannende und sorgfältige Film «Riefenstahl» zeichnet eine sehr viel komplexeres, problematischeres Bild ihrer Biografie.
Kinostart: 21.11.2024.