Es sind nur diskrete Anzeichen, versteckt im nuancierten Spiel von Jérémy Rénier: Der von ihm verkörperte Lungenarzt Simon, 37, wird insgeheim von seinem Beruf emotional stärker mitgenommen, als er es zugeben will.
Zwar ermahnt er seine Kollegenschaft öfters, sich nicht persönlich vom Leid der Patienten und deren Angehörigen anstecken zu lassen, doch man vermutet schon früh, dass ihm diese berufliche Distanz selbst nicht immer so leichtfällt.
Die Fassade beginnt nun zu bröckeln, als Simons Mutter eine Blutvergiftung erleidet und ein Zimmer im Krankenhaus bezieht, in dem Simon arbeitet. Dass sie nicht mehr lange zu leben hat, das ist weder in der Familie noch im professionellen Umfeld ein Geheimnis.
Marthe Keller interpretiert diese Frau grandios; sie verleiht ihr Würde und Charakter. Doch der Film fokussiert sich nicht auf ihre versiegenden Lebenskräfte, sondern begleitet den Sohn in seinem inneren Wandel.
ein TV-Krankenhaus
Nur schon von der Tonalität her ist der Spielfilm «L’ordre des médicins» ein angenehm nüchterner Gegententwurf zu den teils trivialen, teils reisserischen Arzt- und Intensivstationsserien, die in den späten Neunzigern die TV-Vorabendprogramme fluteten.
Der Autor und Regisseur David Roux stammt selbst aus einer Ärztefamilie und inszeniert seine Krankenhauswelt daher nicht als ein hektisches Kondensat von Schicksalsschlägen. Und auch sein Arzt ist kein Halbgott in weiss, sondern ein konfliktbehafteter Mann.
Stärker jedoch noch als diese vielschichtige Hauptfigur wirkt auf das Publikum, dass der Film ganz konkret von den Fragen handelt, die man sich in der Gesundheitsversorgung täglich stellen muss: Wie weit kann und soll eine Therapie gehen, bis man aufgibt? Wie viel Hoffung und wie viel Pragmatismus sind als Leitplanken des Handelns angebracht? Wie verarbeitet man es, dass man wiederholt in Tragödien verwickelt wird?
Lebensechte Charaktere
Schön ist an «L’ordre des médecins», dass der Drehbuchbuchautor David Roux nicht mit Antworten, und erst recht nicht mit Thesen auf diese Fragen reagiert. Stattdessen erzählt er einfach.
In einer Schlüsselszene etwa sagt die Mutter zum Sohn, dass sie ein erfülltes Leben gehabt habe und den Tod nun nicht mehr länger aufschieben wolle. Das könnte eine überdemonstrative oder billig-rührselige Szene sein. Ist es aber nicht. Denn der Mediziner kontert direkt mit einer ernst gemeinten Frage: «Warum wolltest du dann überhaupt, dass ich Arzt werde?»
«L’ordre des médecins» ist trotz seiner Thematik kein Film, der sein Publikum gewollt deprimieren oder allzu berechnend betroffen machen will. Er berührt einen vielmehr ganz natürlich, weil seine Figuren ehrlich wirken und wirklich zu atmen scheinen: Es hilft dabei, dass sie auch reichlich Humor haben.
Zuletzt schafft es «L’ordre des médecins» sogar ohne unnötigen Nachdruck, dass man über eigene Bezüge zwischen beruflicher und privater Welt nachzudenken beginnt.
Kinostart: 08.08.2019