«Yvette Z'Graggen – Une femme au volant de sa vie» – so lautet der französische Originaltitel dieses Dokumentarfilms: eine Frau am Steuer ihres Lebens.
Mit diesem Untertitel sind zwei Dinge gesagt: Die Autorin, Journalistin und Übersetzerin Yvette Z'Graggen, 1920 in Genf geboren, reiste viel und sass gerne auf Rädern. Und zweitens: Sie erlaubte sich für ihren Werdegang ein Mass an Selbstbestimmung, das für ihre Zeit ungewöhnlich war.
Z'Graggen liess sich privat und beruflich nicht einengen: Sie setzte sich in den Kopf, dass sie ihr Geld kreativ schreibend verdienen wollte – und tat das auch.
Und sie suchte sich die Männer selbst aus, mit denen sie romantische Beziehungen einging. Schon lange vor einer verhältnismässig kurzen Ehe, die in ihrem Leben erst viel später kam.
Stimmungsbild einer Generation
«Yvette Z'Graggen» – das ist einerseits das cineastische Porträt einer unangepassten Freidenkerin. Bis zu einem gewissen Grad ist es aber auch das Porträt einer ganzen Generation, von der heute nicht mehr viele Menschen übrig sind: Eine Jugend, die geprägt war von den wirtschaftlichen Unsicherheiten in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg.
Danach: Ein Eintritt ins Erwachsenenalter, der simultan verlief zum Rückfall Europas in eine Kriegszone. Und von Genf aus betrachtet die Schweiz, die in diesem Tumult wie ein sicherer Hafen erschien.
Lichtblicke und Tiefschläge
Der Westschweizer Dokumentarfilmer Frédéric Gonseth nimmt uns mit auf eine Zeitreise in diese Jahre, die Z'Graggen ausführlich und wortgewaltig beschrieben hat in ihren Büchern.
Visuell stützt er sich dabei auf eine Reihe von Quellen: Vor allem auf Yvette Z'Graggens umfangreiche Fotosammlung, die es ihm erlaubt, ein präzises Stimmungsbild zu zeichnen. Auf inszenierte Szenen, in denen er eine junge Darstellerin als Z'Graggen auftreten lässt.
Und dann vor allem auf gefilmte Interviews mit der Autorin – wovon er das wichtigste selbst geführt hat. In diesen Szenen spricht die Schriftstellerin erstaunlich offen und locker über ihre Lichtblicke und Tiefschläge.
Ohne Scheu
Yvette Z'Graggen pflegte in ihren Büchern einen eigenwilligen, mutigen Stil: Sie orientierte sich ohne Scheu an ihrer Autobiografie, sie schrieb – oft fiktionalisiert – über ihre Familie, über ihre Liebschaften, über ihr Selbstbewusstsein und über ihre Selbstzweifel.
Vor allem aber: Sie bettete das alles ein in ihre aktuellen politischen Überlegungen, in Fragen über die Rolle der Schweiz in der Kriegs- und Nachkriegszeit, in Fragen über die problematischen Beziehungen der Schweiz zu ihren Nachbarländern.
Sie hätte gerne mitgemacht
Frédéric Gonseth sagt es sehr früh in seinem Dokumentarfilm: Z'Graggen hätte eigentlich noch gerne persönlich mitgewirkt an diesem Projekt, das sich allgemein um die Rolle der Frau in der Mitte des 20. Jahrhunderts hätte drehen sollen, aber auch spezifisch um Z'Graggens Biografie.
Es kam aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr dazu. Was das visuelle Vermächtnis einer kritischen Zeitzeugin hätte werden sollen, ist nun eine persönliche Widmung geworden – aber das macht den Film nicht weniger berührend.
Kinostart: 11.10.2018