Ein «Ruäch» ist einer, der nicht jenisch ist. Die Abgrenzung von den anderen ist einfacher als eine klare Definition der eigenen Identität. Vor allem, wenn Abgrenzung in Form von Ausgrenzung stattfindet.
Als «Ruäche», also eben Nichtjenische, haben die Filmemacher Andreas Müller und Simon Guy Fässler keinen Film über Jenische machen wollen, sondern mit ihnen. Das ist ihnen gelungen, weil sie ohne Zeitdruck und These um echte Begegnungen bemüht waren.
Die eigene Identität zu benennen, fällt den Jenischen nicht immer leicht. Das habe auch damit zu tun, erklärt einer, dass viele als Kinder gelernt hätten, sich für ihre Herkunft zuerst zu schämen und sie später mit Stolz zu verheimlichen.
Katastrophen, Verachtung, Quälereien
Kinder hätte sie schon gerne gehabt, erzählt Lisbeth Sablonier im Film. Fast nebenbei erzählt die Jenische, dass ein Arzt ihr als junger Frau erklärt hatte, sie leide an einem gefährlichen Krebs. Eine Behauptung, um sie heimlich zu sterilisieren.
«Eine Zigeunerin mehr, die sicher keine Kinder bekommen wird», habe sie den Arzt zur Praxishilfe sagen hören, als sie noch einmal zur Türe hereinkam, um etwas Vergessenes in der Garderobe zu holen.
Das war kein Einzelfall. Fast alle älteren Jenischen, die Andreas Müller und Simon Guy Fässler über mehr als sieben Jahre hinweg begleitet haben, erzählen von solchen Katastrophen: von der Aktion «Kinder der Landstrasse», von Verachtung, von Quälereien in der Schule.
Keine Rampensäue
So erklärt sich irgendwann von selbst, warum die beiden Langzeitdokumentaristen zu Beginn ihres oft sehr fröhlichen Films plötzlich mit ihrem alten Camper völlig allein auf einem Platz am Waldrand stehen. Die Personen, die sie dort treffen wollten, sind nicht gekommen.
Der Freund am Mobiltelefon, der das Treffen eingefädelt hat, verweist auf die Angst vor Aufmerksamkeit, die die meisten dieser Familien präge.
Ein älterer Mann meint einmal trocken, es sei besser, keine schlafenden Hunde zu wecken. Darum leben viele in provisorischen Unterkünften, ohne legitime Ansprüche durchzusetzen.
Davon hält die jenische Isabelle Gross im französischen Annemasse wenig. Sie ist eine eher junge Patriarchin, das Clanzentrum, und sie kämpft seit Jahrzehnten um die legitimen Landansprüche ihrer Familie. Ihrem Grossvater wurden einst für Landabtretungen Chalets versprochen.
Ein strahlendes Meisterwerk
«Ruäch – Eine Reise ins jenische Europa» vergeht mit seinen zwei Stunden wie im Flug. Sieben Jahre Begegnungen, Neugier, Vorsicht und schliesslich Vertrauen auf beiden Seiten hat Marcel Bächtiger im Schnitt zu einem dichten Geflecht von Informationen, Emotionen, Hoch- und Tiefpunkten verwoben.
Ein Film von drei Freunden in Zusammenarbeit mit vielen neuen Freundinnen und Freunden. Das strahlt vom Bildschirm.