Erwachsen werden ist ein Knochenjob. Gruselfans dürfte daher einleuchten, dass die Duffer-Brothers in der vierten Staffel ihrer Hitserie die Teenager-Knochen knacken lassen.
Schon in den ersten zwei Folgen verdrehen sich die Arme und Beine armer Jugendlicher so lange, bis nur noch deren Gebeine übrig sind. Und das ist erst der Auftakt.
Parallel dazu verlieren auch die einst so herzigen Heldinnen und Helden ihre Unschuld. «Stranger Things» begibt sich somit auf den erfolgsversprechenden Pfad, den einst die «Harry Potter»-Reihe freigetrampelt hat: Die Tonalität verdunkelt sich von Abenteuer zu Abenteuer. Im Wissen, dass das Stammpublikum stets mitaltert und nach immer härterem Stoff verlangt.
Hawkins ist nicht Hogwarts, oder doch?
In einer Hinsicht hinkt der Vergleich mit Rowlings Erfolgsreihe allerdings: Deren Hauptzielgruppe waren Kinder, die gleich alt waren wie Harry Potter und Co.
«Stranger Things» wurde dagegen für ein Fantasy-Publikum konzipiert, das deutlich älter ist als die Figuren, mit denen es mitfiebern soll. Die FSK-Freigabe von 16 Jahren macht klar: Nicht Kinder, sondern junggebliebene Nostalgiker kommen hier auf ihre Kosten.
Trotzdem dürfte die vierte Staffel Assoziationen an Hogwarts wecken. Weil der einst in die Schattenwelt entführte Will inzwischen stark dem jungen Daniel Radcliffe gleicht. Die Ähnlichkeit wird «Potterheads» sofort an ihren Liebling erinnern. Während die nasenlose Kreatur, welche nun in Hawkins Angst und Schrecken verbreitet, so aussieht, als hätte man Voldemort mit H.R. Gigers Alien gekreuzt.
Freddy Krueger und der Exorzist lassen grüssen
Hier wäre wohl eine kleine Monsterkunde für Uneingeweihte angebracht. Der sogenannte Mind Flayer ist als Herrscher der Schattensphäre Upside Down das ultimativ Böse in «Stranger Things». In der ersten Staffel schickte dieser das animalische Pflanzenmonster Demogorgon nach Hawkins.
Nun terrorisiert ein finsterer Mensch-Alien-Verschnitt namens Vecna die nicht mehr ganz so heile 80er-Jahre-Welt. Dessen Opfer schweben – ähnlich wie im Horror-Klassiker «The Exorcist» – zunächst in der Luft, bevor der Teufel in ihre Glieder schiesst. Abgeschlossen wird die grauenhafte Prozedur mit einem visuellen Knalleffekt, den man als Implosion der Augen beschrieben könnte.
Mit Blick auf die Zeit, in der «Stranger Things» spielt, liegt eine weitere Horror-Referenz auf der Hand. Die Filmreihe rund um Narbengesicht Freddy Krueger, dem Serienkiller aus «Nightmare on Elm Street», verleiht der vierten Staffel als offenkundiges Stilvorbild ein albtraumhaftes Antlitz. Zumal sich Vecna wie Freddy Krueger zuerst in den Psychen seiner Zielpersonen einnistet, bevor er ihnen an den Kragen geht.
Haarsträubend statt liebenswürdig
Die neue Staffel, welche sich dafür rühmt, längere und spannendere Folgen zu bieten, setzt ganz klar auf Nervenkitzel. Leider geht dieser oft auf Kosten der mal freundschaftlichen, mal romantischen Gefühle unter den Kids.
Das ist jammerschade. Schliesslich war es gerade die Dynamik zwischen Dustin und Nancy, Steve und Robin, Lucas und Max, sowie Mike und Eleven, welche die Serie so liebenswürdig machte.
Unverändert grossartig bleibt «Stranger Things» auf der Tonebene. Die Soundeffekte sorgen für Gänsehaut und Songs wie «Running Up That Hill» von Kate Bush katapultieren einen direkt in die 80er-Jahre.
Die ersten sieben Folgen von «Stranger Things 4» sind seit dem 27. Mai 2022 auf Netflix verfügbar. Das Staffel-Finale mit den letzten beiden Episoden wird erst am 1. Juli freigeschaltet.