Antoinette Lapouge ist Primarlehrerin. Als ihr ihr verheirateter Kollege und Liebhaber eröffnet, dass er nicht mit ihr, sondern mit seiner Frau und seiner Tochter in die Ferien fahren wird, ist sie entsetzt.
Er bedauert und erklärt, es handle sich um Wanderferien mit einem Esel in den südfranzösischen Cevennen
.
Trotzig und planlos bucht Antoinette die gleiche Eselwanderung, einfach in der Gegenrichtung, um dem Geliebten nahe zu sein. Etwas unsicher wird sie erst, als in der Herberge andere Gäste darüber lachen, dass sie allein mit einem Esel loswandern möchte.
Natürlich bleibt Antoinettes Esel schon am ersten Wandertag irgendwo in den Hügelzügen einfach stehen.
Antoinette heult ihr Elend aus sich heraus – über den Esel, den Liebhaber, das Leben. Und sie bemerkt, dass der Esel brav marschiert, so lange sie redet.
Der nächste Selbstfindungs-Film
«Travels with a Donkey in the Cévennes» heisst ein früher Reisebericht des späteren «Schatzinsel»-Autors Robert Louis Stevenson: Reisen mit einem Esel in den Sevennen, publiziert 1879.
Die französische Filmemacherin Caroline Vignal parodiert auf der Basis von Stevensons Klassiker einerseits die unzähligen Pilgerreise-Selbstfindungs-Filme der letzten Jahre.
Zugleich aber nimmt sie auch das derzeit angesagte Psychotherapie-Serienformat auf die Schippe, indem sie ihre Antiheldin Antoinette nun dem Esel über viele Dutzend Kilometer hemmungslos ihr Inneres offenbaren lässt.
Die Serie, die ganz Frankreich therapiert
Reden befreit. « En thérapie » heisst die französische Version des weltweit erfolgreichen Psychotherapie-Serienformats, das zurzeit auf Arte zu sehen ist. Schon in der ersten Folge verarbeitet da die Chirurgin (Melanie Thierry) beim Therapeuten ihr Trauma, das von den Bataclan-Morden im November 2015 herrührt.
«En thérapie» ist eine Art französische Nationaltherapie, inszeniert von den «Ziemlich-Beste-Freunde»-Machern Eric Toledano und Olivier Nakache.
Die nervtötende Hauptfigur
«Antoinette dans les Cévennes» ist bescheidener. Antoinette redet sich ihren Männer-Frust von der Seele, freundet sich mit dem Esel an und findet dabei ihre Freiheit.
Der Film ist von einer Frau geschrieben und inszeniert, und die Schauspielerin Laure Calamy spielt ohne Scham und Bremse. Das macht es ihnen möglich, die Hauptfigur erst einmal nervtötend naiv und unvorteilhaft auftreten zu lassen – ein heikles Unterfangen in einer Komödie, das man einem männlichen Regisseur nicht mehr so einfach gestatten würde.
Wo Therapie auf den Wilden Westen trifft
Aber der Kniff zahlt sich aus. Denn diese Selbstfindung von Antoinette in den Sevennen, parodiert die Selbstfindungs- und Therapiegeschichten nicht nur, sie stellt sie auch überzeugend nach.
So sehr, dass Antoinette zum Schluss westernmässig zu einem Lied aus dem John-Wayne-Klassiker «Rio Bravo» in den Sonnenuntergang schreiten kann, ohne Gewehr und Pferd zwar, aber mit ihrer Erinnerung an den Esel und im Reinen mit sich selbst.
Und das Publikum hat nun plötzlich Lust auf Stevenson-Lektüre, Urlaub in den südfranzösischen Sevennen und allenfalls gar die Begegnung mit einem sturen Esel.