«Get back in»: Drei Wörter, übermittelt per Handy im Jahr 2014, brachten Michelle Carter ein Jahr Haft ein. Ihr Freund, 18 Jahre alt, wollte sich in einem Truck mit Abgas vergiften. Er brach den Selbstmordversuch ab. Carter jedoch, eingeweiht in die Depressionen ihres Partners, riet ihm per Telefon, die Sache durchzuziehen. Mit Erfolg.
Bis heute ist unklar, wie sich das genau abgespielt hat. Der Gerichtsfall erregte weltweites Aufsehen, weil er eine juristische Grundfrage betraf: Ab wann ist Beihilfe zum Suizid fahrlässige Tötung? Zudem ging es im Fall um junge Liebe und Tod – eine medienwirksame Story.
True Crime mit Hürden
Die US-Serie «The Girl from Plainville» (Hulu) erzählt den Fall Michelle Carter detailgetreu nach, mit Elle Fanning in der Hauptrolle. Warum das Projekt angegangen wurde, versteht sich leicht: True-Crime-Fiktionalisierungen sind im Trend, für Elle Fanning ist die Rolle eine willkommene Herausforderung. Inhaltlich bietet der Stoff alles, was man sich an Drama wünschen kann.
Gleichzeitig darf man aufgrund der Prämisse aber Bedenken anmelden: Die Verfilmung schlachtet Schlagzeilenfutter aus und läuft Gefahr, dass sie eine tragische Geschichte trivialisiert. Zudem drohen dramaturgische Hürden, weil der Kern des Plots auf unzähligen SMS und Prozessakten beruht.
Gelungene Umsetzung
Beim Schauen der ersten Folge merkt man aber: Der Stoff ist in guten Händen. Der Erzählton ist unaufgeregt, die Einführung ins Geschehen erfolgt sorgsam. Der Fokus liegt vorerst bei der Mutter des verstorbenen Jungen (Chloë Sevigny): Sie wusste um die Todessehnsucht ihres Sohnes, aber nur wenig über die junge Frau, die diese Sehnsucht taktangebend bediente.
«The Girl from Plainville» wagt Zeitsprünge. Die Handlung verlegt sich an den Anfang der Beziehung der beiden jungen Leute, und baut von dort auf. Das ist die Stärke der Serie: Die Interaktion zwischen zwei jungen Menschen, deren Verhältnis auf eine gegenseitige Toxizität herausläuft. Er lässt sie schonungslos an seinen morbiden Gedanken teilhaben. Und sie entwickelt eine krankhafte Faszination dafür.
Die Serie lässt nach
Von den insgesamt acht Folgen überzeugen die ersten fünf: Die Durchmischung der Zeitebenen dient dem Spannungsbogen, die Perspektiven wechseln oft. Sukzessive kommen neue Handlungselemente dazu. Die Drehbücher vermeiden es gekonnt, in allzu rührseliges Fahrwasser abzudriften.
In den letzten Folgen beginnt «The Girl from Plainville» aber zu schwächeln: Die Beziehung der beiden Teenager ist abgehakt, es geht jetzt mehr und mehr um das Gerichtsverfahren, welches sich in die Länge zieht und dem Geschehen auf emotionaler Ebene nur noch wenig hinzufügt.
Störende Augenbrauen
Zudem trägt Elle Fanning in den Gerichtszenen markant nachgezeichnete Augenbrauen, um der echten Michelle Carter zu gleichen – ein unnötiger Griff in den Schminkkoffer. In dieser Phase steigt der Reiz, die Serie abzubrechen.
Aber es lohnt sich, dranzubleiben. Denn in der letzten Folge ist zwar schon alles gesagt und getan, aber durch eine weitere, clevere Montage von Schlüsselmomenten des Geschehens überzeugt der Abschluss mit stiller, aufwühlender Kraft.