Formale und tonale Perfektion ist selten, aber Basil da Cunha kommt ihr mit seinem zweiten Spielfilm sehr nahe. Das hat damit zu tun, dass er in «O Fim do Mundo» eine geschlossene, künstliche Welt (und deren angekündigtes Ende) abbildet, deren Regeln er nach Belieben selber aufstellen kann.
Aber wie immer bei Da Cunha basiert diese Welt auf einer Realität und wirkt dokumentarisch.
Düsterer Rückkehrer
Die Favela Reboleira, ein dem Abriss geweihtes Slumquartier von Lissabon, ist die kleine Welt, die Spira (Michael Spencer) vor acht Jahren verlassen musste, als er in die Jugenderziehungsanstalt eingewiesen wurde.
Jetzt ist er wieder da, schweigsam, mit dunklem Blick. Ein düsterer Engel, der aufmerksam und zurückhaltend registriert, was sich verändert hat, und was nicht.
Spiras Jugendfreunde Giovanni (Marco Joel Fernandes) und Chandi (Alexandre Da Costa Fonseca) sind noch da, haben auf ihn gewartet. Auf den ersten Blick ist alles beim Alten.
Die beiden Freunde arbeiten für den Drogenboss Kikas, wie fast alle jungen Männer. Giovanni träumt allerdings von mehr und hasst Kikas dafür, dass er ihm nicht den besten Ort an der Kreuzung zuweist.
Dafür sei er zu nervös, meint der Boss. Er solle erst mal runterkommen.
Auch die Frauen haben Macht
Der Film setzt mit einer grossen Taufe ein, das ganze Quartier ist in der Kirche und später am Tanzen. Alle Rivalitäten und Freundschaften spielen wie immer. Spiras Stiefmutter zieht mit ihrer offensiven Erotik einmal mehr den Zorn ihrer Nachbarinnen auf sich.
Die Frauen stehen in der offiziellen Hierarchie klar unter den Männern, unabhängig vom Alter. Allerdings haben sie alle ihr eigenes Machtsystem und kontrollieren mehr vom Alltag, als die Männer sich offen eingestehen.
Eine Welt der Abwesenden
Unter all den eingespielten Rollen und Figuren der Nachbarschaft ist der ruhig beobachtende Spira die grosse Leerstelle – und eine Herausforderung für Drogenboss Kikas. Zumal der junge Mann in seiner Wut über die ausbleibende Müllabfuhr einen Haufen Säcke in Brand steckt und dabei aus Versehen Kikas Auto abfackelt.
Die Disziplinierung kommt verzögert, aber brutal. Damit hat Spira seine Position gefunden.
Basil Da Cunha führt uns ein in diese Welt, in der die meisten Männer abwesend sind, über ganz Europa verstreut am Arbeiten. Nur die Jungen, die Alten, die Kranken, die Verrückten und die ganz Skrupellosen sind noch da.
Es ist eine Welt, in der nichts unbeachtet bleibt, kein Geheimnis geheim – bis Spira in seiner enigmatischen Unberechenbarkeit als Aussenseiter anders zu denken und zu träumen beginnt.
Symbolhaft und stimmig
Da nimmt dann auch da Cunhas Film eine Wende zum Überhöhten. Spira inszeniert für Iara, die junge Mutter, die er liebt, einen symbolträchtigen Akt. Ein Bild, das so perfekt in diesen Film passt, weil er eben auch auf das Symbolhafte hin gebaut ist.
Auf die Taufe als Auftakt folgt ein Begräbnisumzug als Schluss. Dazwischen aber liegen viele Überraschungen, Bilder, Szenen, die in sich so stimmig sind, dass man leicht vergisst, dass der eigentliche Gott dieser Welt eben der Regisseur ist. Den die Liebe für diese Menschen und ihre Gesichter und Geschichten treibt.
Kinostart: 2. Juli 2020