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Leonardo DiCaprio
Legende: Leonardo DiCaprio wurde für seine Rolle in «Once Upon a Time... in Hollywood» nominiert – zusammen mit weiteren vier weissen Männern. Keystone/EPA/CHRISTIAN MONTERROSA

Oscar-Nominierungen 2020 Endlich Diversität bei den Oscars? Fehlanzeige!

SRF-Filmredaktor Michael Sennhauser erklärt, warum die Nominierungen dieses Jahr überraschend unüberraschend sind.

In den letzten Jahren wurde die Oscar Academy punkto Diversität ziemlich ausgebaut. Spiegelt sich das in den Nominierungen wider – etwa bezüglich der vertretenen Frauen oder nicht-weissen Darstellerinnen und Darsteller?

Michael Sennhauser: Überraschenderweise eher nicht. Vor rund vier Jahren gab es zwar einen Diversitäts-Schub, bei dem plötzlich mehr Leute für Oscars nominiert waren, die zuvor nie eine Chance gehabt hätten. Aber das hat sich wieder eingependelt. In diesem Jahr sind die Nominierungen sehr auf den Mainstream ausgerichtet.

Michael Sennhauser

Filmredaktor, SRF

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Michael Sennhauser ist Filmredaktor bei SRF. Er gewann für sein Schaffen den Greulich Kulturpreis 2016.

Das ist auf den ersten Blick überraschend, weil die Academy tatsächlich viel jüngere und diversere Mitglieder hat als auch schon. Aber es braucht wahrscheinlich viel mehr Zeit, als es sich die Verantwortlichen für die Oscar Academy seinerzeit ausgemalt haben.

Das, was die Oscars im Moment noch treibt, sind die kommerziellen Interessen. Die Player, die heute obenaus schwingen, sind auch die, die am meisten Geld in ihre Kampagnen stecken.

Stichwort Geld und Mainstream: Die Streaming-Plattform Netflix verzeichnet dieses Jahr mehr Nominierungen als traditionelle Filmstudios. Warum hat Netflix Interesse daran, bei den Nominierungen dabei zu sein?

Die klassischen Filmstudios sind praktisch verschwunden und haben das Geld nicht mehr für das klassische Autorenkino. Hier springt Netflix in die Bresche, indem es teure Filme wie «The Irishman» von Altmeister Martin Scorsese oder «Marriage Story» von Noah Baumbach finanziert – und dann die gleichen Lorbeeren abholen möchte.

Dass Netflix die Studios und das alte System zu beerben versucht, ist deswegen bezeichnend, weil es kein Innovationstreiber mehr ist. Netflix hat sich seinerzeit einen Namen gemacht mit innovativen Serien wie «House of Cards». Heute setzt die Plattform aber auf Masse und kauft global ein. Da sind auch viele minderwertige Serien darunter.

Zwischendurch kommen wieder grosse Prestigeprojekte. Netflix versucht also, genau das zu machen, was die grossen Player immer gemacht haben: mit Geld noch mehr Geld zu organisieren. Denn Netflix lebt davon, dass der Aktienkurs und die Finanzierung nicht abreisst, damit man die neue Konkurrenz – die anderen Streaming-Dienste – auf Abstand halten kann.

Netflix gehört also fast schon wieder der alten Garde an. Wer sich für innovative Filme interessiert, wird bei den Oscar-Nominierungen nicht fündig. Wo werden denn heute innovative Ideen gezeigt?

Im Moment muss man wahrscheinlich die spezialisierten Festivals besuchen. Sie haben sich in den letzten Jahren explosionsartig vermehrt. Allein in der Schweiz gibt es 46 aktive Filmfestivals. Einige Festivals haben es sich auf die Fahne geschrieben, Filme zu zeigen, die nicht auf die regulären Leinwände kommen.

Es entsteht dort ein lokaler «Lagerfeuer-Effekt»: Gleichgesinnte sind für ein paar Tage beieinander, schauen sich Dinge an, reden darüber und haben das Gefühl, gemeinsam etwas erlebt zu haben.

Manchmal entsteht daraus auch ein Lauffeuer: Es gibt Filme, die zum Beispiel an Sundance Film Festival Furore gemacht haben, und dann an allen anderen Festivals auch gezeigt werden.

Das Gespräch führte Emilie Buri.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Nachrichten, 14.01.2010, 16.30 Uhr

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