Rund 20'000 Menschen verloren zwischen August 1943 und April 1945 ihr Leben im Konzentrationslager Mittelbau-Dora in Thüringen. Einer von ihnen war der französische Widerstandskämpfer Jean-Pierre Catherine. Er starb drei Wochen vor der Befreiung des Lagers durch die US-Armee.
75 Jahre später besucht Jean-Pierres Schwester, die 90-jährige Colette, ebenfalls aktiv im Widerstand, erstmals die Gedenkstätte des KZ Mittelbau-Dora. Sie habe dies vorhin nie getan, weil sie diese Art das Elends-Tourismus nicht gutheisse, sagt sie zu Beginn der Kurz-Dokumentation, die ihren Namen trägt.
Überzeugt wurde sie von der jungen Geschichtsstudentin Lucie, die in einem Museum arbeitet, in dem den französischen Opfern des Konzentrationslagers gedacht wird.
Dass die Kurz-Dokumentation «Colette» für einen Oscar nominiert ist, erstaunt nicht zwingend. In knapp 25 Minuten setzt sich der Film auf respektvolle Art und Weise ausführlich mit einem Thema auseinander, dessen Relevanz ausser Frage steht. Im Zentrum steht ausserdem eine starke Protagonistin.
Dank VR-Brillen an die Oscars
Überraschend ist hingegen, wie der Film finanziert wurde – oder eher von wem. Für das Virtual-Reality-Kriegs-Spiel «Medal of Honor: Above and Beyond» konzipierte der Entwickler «EA Games» eine Galerie mit diversen Kurz-Dokumentation über Veteraninnen und Veteranen des Zweiten Weltkriegs.
Weil der First-Person-Shooter vor allem auch für die VR-Brille «Oculus Rift», ein Produkt einer Facebook-Tochter-Firma, entwickelt wurde, steckt auch Geld des Social-Media-Riesen in der Produktion.
Laut SRF-Digital-Redaktor und Gaming-Experte Guido Berger habe sich die «Medal of Honor»-Reihe immer schon durch vermeintliche Nähe zu Kriegs-Veteranen ausgezeichnet. Diese inszeniert die Kriegsspielreihe ausschliesslich als Helden, während etwa Kriegsverbrechen ausgeblendet werden.
Den Spielern soll ein Gefühl der Authentizität vermittelt werden – deshalb die Kurz-Doks. Daher findet sich auch die ehemalige Widerstandskämpferin Colette Marin-Catherine im Spiel wieder.
Dass Facebook den Erfolg von «Colette» als Anstoss nimmt, um über seine Tochter-Firma Oculus VR auf Oscar-Jagd zu gehen, bezweifelt er jedoch: «Das ist ja eigentlich auch kein wirklicher VR-Film – sprich «flach» gefilmt.» Ausserdem habe man mit Facebook Video ja schon länger eine andere Option, die für Eigen-Produktionen genutzt werden könnte.
Glücklicher Zufall
Berger vermutet, dass selbst das Modell der Mitfinanzierung analog dem Beispiel «Colette» eher eine Ausnahme bleiben wird. Die Oscar-Nominierung sehe daher schon eher nach einem glücklichen Zufall aus.
SRF hat diesbezüglich auch schriftlich bei Facebook nachgefragt. Eine Antwort gab es bisher nicht.
«Colette» wurde nicht zuletzt dank der britischen Tageszeitung «The Guardian» einem grösseren Publikum zugänglich. Die Guardian Media Group sicherte sich nämlich die Vertriebsrechte, nachdem der Film auf mehreren Dok-Festivals gezeigt wurde. Seither ist er auf der Webseite sowie dem Youtube-Kanal des Guardian zu sehen.
Wer sich also selbst von der ersten Kurz-Dokumentation überzeugen will, die es, mitfinanziert von einem Social-Media-Giganten und vertrieben von einem klassischen Medien-Unternehmen, zu einer Oscar-Nominierung gebracht hat, kann dies gratis tun.