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Paul Schrader «Keine zwei Jahre in Folge sehen wir die gleiche Art von Film»

Der US-Autorenfilmer Paul Schrader war dieses Jahr als Ehrengast am Basler «Bildrausch»-Filmfest anzutreffen. Als Drehbuchautor hat er einige ikonische Figuren des Kinos geschaffen. Sein neuster Film «First Reformed» wurde von der Kritik begeistert aufgenommen.

Am «Bildrausch»-Festival wurde er am Sonntag zudem mit dem Ehrenpreis für visionäres Filmschaffen ausgezeichnet.

Paul Schrader

Regisseur

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Paul Schrader wurde 1946 in Grand Rapids, Michigan als Sohn streng calvinistischer Eltern geboren. Seinen ersten Kinofilm sah er erst im Alter von 17 Jahren.

In Los Angeles machte er sich zunächst als Filmkritiker einen Namen, bevor ihm 1976 mit dem Skript zu Martin Scorseses «Taxi Driver» auch als Drehbuchautor der Durchbruch gelang. Zwei Jahre später feierte er mit «Blue Collar» sein Regiedebüt. Seither zählt Schrader zu den renommiertesten Autorenfilmern des US-Kinos.

SRF: Inwiefern hat sich das Kino im Zeitalter der Digitalisierung für Sie verändert?

Paul Schrader: Das ist eine riesige Frage, die vier oder fünf weitere Fragen in sich trägt. Nichts, was wir in den letzten hundert Jahren gelernt haben, ist heute wirklich noch wichtig. Wir wissen nicht mehr, wie lange Film sein muss, damit er als solcher durchgeht. Dauert ein Film 3 Minuten oder 72 Stunden? Oder trifft beides zu? Wo schauen wir uns Filme an? Wie bezahlen wir für sie? Wie verdienen wir Geld mit ihnen? Wie eindringlich sind sie? Das alles wissen wir nicht mehr .

Früher dachte ich, dass Filme gewisse nachvollziehbare Übergangsphasen durchmachen. Heute glaube ich, sie befinden sich in einem konstanten Wandel. Keine zwei Jahre in Folge sehen wir die gleiche Art von Film.

Die Reaktionen auf meinen neuen Film «First Reformed» schüchtern mich schon etwas ein.

Wie bei einem Computer: Sobald man diesen auspackt, ist er bereits veraltet. Sobald man einen Film gesehen hat, sind die Produktionsmittel veraltet.

Jetzt sehen wir all diese richtig guten Erstlingsfilme. Weil eine ganze Generation von jungen Filmemachern herangewachsen ist, die es früher nicht durch das System geschafft hätte. Und jetzt, wo es kein System mehr gibt, leihen sie sich einfach Geld von ihren Eltern und drehen einen Film.

Wenn Sie sich jetzt sagen würden: ‹Ich sehe mir in nächster Zeit nur noch Kinofilme aus Malaysia an›, dann würden Sie vermutlich ein ganzes Jahr damit verbringen.

Der Vorteil dabei ist: Jeder kann einen Film drehen. Der Nachteil ist: Keiner verdient mehr Geld damit.

Ein weiterer Vorteil ist: Man kann heute auf zahllose Filme zugreifen.

Zu der Zeit, als ich noch auf der Filmhochschule war, konnte man rein theoretisch noch die gesamte Geschichte des Kinos zurückverfolgen. Das geht heute nicht mehr. Aber: Heute ist alles verfügbar.

Wenn Sie sich jetzt sagen würden: «Ich sehe mir in nächster Zeit nur noch Kinofilme aus Malaysia an», dann würden Sie vermutlich ein ganzes Jahr damit verbringen. Während wir uns hier unterhalten, befinden sich 500 geskriptete TV-Sendungen in Produktion.

Der Begriff Erlösung impliziert für mich eine gewisse moralische Struktur, womit ich mich nicht ganz wohl fühle.

Wie wollen Sie sich die alle ansehen? Das geht gar nicht. Wir befinden uns nun in diesem Netflix-Modell des weitesten und flachsten Gewässers der Welt.

Wenn Sie die Figuren für Ihre Filme entwickeln, wissen Sie dabei jeweils von Anfang an: Der erfährt eine Form von Erlösung und der nicht?

Ich weiss gar nicht genau, was man unter Erlösung überhaupt verstehen soll. Ich denke, dass man eher von Verwirklichung sprechen sollte. Der Begriff Erlösung impliziert für mich eine gewisse moralische Struktur, womit ich mich nicht ganz wohl fühle.

Dann frage ich anders: Wissen Sie jeweils, ob die Figuren sich verwirklichen werden oder nicht? Manche Ihrer Figuren tun es, andere wiederum nicht.

Sie alle verwirklichen sich. Selbst Wade Whitehouse in «Affliction», der davonläuft und verschwindet. Das ist sozusagen die Verwirklichung seines ganzen Lebens. Das heisst also nicht unbedingt, dass man eine bessere Person wird. Es bedeutet eher, dass man die Essenz dessen wird, was man ist. Selbst wenn das heisst, sich selbst zu erschiessen.

Was bringt die unmittelbare Zukunft für Sie?

Die Reaktionen auf meinen neuen Film «First Reformed» schüchtern mich schon etwas ein. Es sind die besten Kritiken, die ich in meiner Karriere bislang erhalten habe. Viel bessere Kritiken kann man gar nicht kriegen! Dazu ist der Film auch in den USA ein Erfolg.

Da fragt man sich schon: «Was nun?» Denn sollte dies tatsächlich mein letzter Film sein, wäre es ein sehr guter letzter Film. Ich hoffe zwar, dass dem nicht so ist, aber es beschäftigt einen schon. Deswegen habe ich in letzter Zeit auch nichts überstürzt. Ich war in den letzten sechs Monaten in erster Linie mit diesem Film auf der ganzen Welt unterwegs.

Doch langsam ist es an der Zeit, wieder nach vorn zu blicken. Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich allerdings nur etwas sagen: All meine neuen Ideen unterscheiden sich sehr von «First Reformed».

Ihr Besuch am «Bildrausch»-Filmfest verläuft unter dem Motto: «In the Hands of an Angry God». Was halten Sie davon?

Dieses Zitat stammt aus einer Predigt von Jonathan Edwards, einem Priester aus der Kolonialzeit. Das eigentliche Zitat ist: «Sünder in den Händen eines zornigen Gottes.» Es ist eine der ganz grossen Predigten. Es ist das erste Mal, dass jemand dieses Zitat mit mir in Zusammenhang bringt. Aber da habe ich nichts dagegen.

Das Gespräch führte Georges Wyrsch. Die Redaktion übernahm Dino Pozzi.

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