1902 entsprang Peter Pan der Feder des schottischen Schriftstellers James Matthew Barrie. Immer wieder wurden seither die Abenteuer auf der Insel Nimmerland erzählt: in unzähligen Büchern, Theaterstücken und Filmen. Das neuste Leinwandwerk wirbt damit, Pans bisher unerzählte Vorgeschichte zu schildern – basierend auf einem Drehbuch, das nur die Schlüsselfiguren mit dem Original teilt. Joe Wrights Film will in erster Linie zwei Dinge klären: Wie klein Peter zur fliegenden Legende wurde und wie er nach Nimmerland kam.
«Pan» spielt während des Zweiten Weltkriegs. Als es Bomben über London regnet, entführen Piraten auf einem fliegenden Schiff Kinder aus dem Waisenhaus. Auch Peter. Die Kinder werden nach Nimmerland verschifft, wo sie für den bitterbösen Chef-Piraten Blackbeard (Hugh Jackman) in einem Steinbruch schuften müssen.
Erst als Peter entdeckt, dass er fliegen kann, gelingt ihm mit seinem Kumpel James Hook die Flucht. Mit dem Hook, den wir als Bösewicht kennen? Ja, denn noch ist der künftige Feind sein Freund. Gemeinsam mit der Indianer-Häuptlings-Tochter Tiger Lily (Rooney Mara) wollen die zwei Nimmerland von Blackbeards Tyrannei befreien.
Das stärkste Zitat
Ein starkes Zitat gibt es in Pan nicht wirklich, dafür eine starke Hymne. Blackbeard empfängt die entführten Waisenkinder im Steinbruch mit einer eigenen Version des Nirvana-Hits «Smells Like Teen Spirit», die alle Gefangenen mitsingen müssen: With the lights out, it's less dangerous. / Here we are now, entertain us! / I feel stupid and contagious. Here we are now, entertain us! (Mit dem Licht aus, ist es weniger gefährlich. / Hier sind wir nun, unterhalte uns! / Ich fühle mich dumm und infiziert. / Hier sind wir nun, unterhalte uns!)
Der Regisseur
Joe Wright ist bekannt für Romanverfilmungen schwerer, tiefgründiger Dramen wie «Atonement», «Pride and Prejudice» oder «Anna Karenina». Eine Kindergeschichte wie «Pan» passt deshalb auf den ersten Blick überhaupt nicht in sein Schema. Andererseits weiss man spätestens seit «Anna Karenina», dass der Brite bei der Gestaltung seiner Filme kein Risiko scheut. Die Tolstoi-Adaption liess er auf einer surrealen Theaterbühne spielen. Für diese gewagte Inszenierung musste Wright heftige Kritik einstecken: Die Fassade sei ihm wichtiger als der Inhalt. Nur wenige lobten seine unbändige Experimentierfreude, mit der Wright nun auch «Pan» Gewicht verleihen will. Beflügelt vom hohen Fantasy-Potenzial, verpasste er dem Kinderbuch-Klassiker einen neuen, modernen Look. So tragen die Eingeborenen einen kunterbunten Ethno-Mix aus südamerikanischen und asiatischen Einflüsse zur Schau. Etwas wirkt in diesem indigenen Ambiente allerdings völlig fehl am Platz: die in jeder Hinsicht blasse Rooney Mara als Indianer-Prinzessin Tiger Lily.
Fakten, die man wissen sollte
In den USA löste die Besetzung von Tiger Lily mit der hellhäutigen Schauspielerin Rooney Mara («The Girl with the Dragon Tattoo») grosse Proteste aus. Über 94‘000 Menschen setzten mit ihrer Unterschrift ein Zeichen gegen «Hollywoods Präferenz für Weisse». Ihre Forderung an Warner Brothers: «Hört auf, farbige Charaktere mit weissen Schauspielern zu besetzen!» Bei einem Kinderfilm sei Fingerspitzengefühl in ethnischen Fragen besonders wichtig: «Kindern zu erzählen, ihre Vorbilder müssten alle weiss sein, ist inakzeptabel.» Regisseur Joe Wright verteidigte seine Wahl so: Rooney Mara habe in der Vergangenheit oft starke Frauenfiguren verkörpert. Weil Tiger Lily Frauenpower ausstrahlen müsse, sei Mara darum perfekt für die Rolle. Das klingt fast so, als ob farbige Schauspieler dasselbe nicht leisten könnten. Maras Performance ist keine Katastrophe. Und doch wirkt sie als Indianer-Prinzessin völlig unauthentisch. Da hilft nicht mal ihr übertrieben grosser Ethno-Kopfschmuck!
Das Urteil
Als Peter in die Tiefe gestossen wird, offenbaren sich seine übernatürlichen Fähigkeiten. Vor dem Aufprall schwebt er das erste Mal in der Luft und allen ist klar: Er ist der Auserwählte, der Befreier von Nimmerland. Welch grosse Verantwortung! Der Film ist diesem Druck nicht gewachsen. Statt sich durch ein kindliches Abenteuer zu schlagen, muss Peter in Windeseile erwachsen werden. Er muss anfangen, an sich und seine Fähigkeiten zu glauben. Das Grundmotiv des Originals, ewig ein Kind zu bleiben, geht in «Pan» völlig unter. Wie schade, schliesslich lebt Peter Pans Geschichte genau von dieser kindlichen Magie. Mit seinem visuellen Ideenreichtum zaubert Joe Wright zwar ein prachtvolles Nimmerland auf die Leinwand. Doch auch mit den schönsten Effekten gelingt es dem Regisseur nicht, den schwachen Inhalt zu kaschieren. Das Erzähltempo ist lahm und die Dialoge wirken einfallslos. Nur wer auf den Charme des Originals pfeift, wird sich unbeschwert an den Schauwerten des 3D-Spektakels ergötzen können.
Kinostart: 08.10.2015