Nicht viele Charakterdarsteller spielen den Bösewicht so unwiderstehlich, dass sie über Jahre oder gar Jahrzehnte dafür besetzt werden.
Der Über-Bösewicht
In diese Kategorie Schauspieler gehört Ralph Fiennes. Er ist der Brite, der Hollywood das Fürchten lehrte. Seine erst zweite Rolle in einem US-Spielfilm etablierte ihn bereits als Hollywoods «Über-Bösewicht».
Steven Spielberg steckte ihn im Holocaust-Drama «Schindler’s List» (1993) als Amon Göth in die Nazi-Uniform. Fiennes verkörperte den KZ-Kommandanten als das Grauen in Person und wurde dafür als bester Nebendarsteller für einen Oscar nominiert.
In Albträume des Publikums gebrannt
Ralph Fiennes bereitet sich akribisch auf seine Rollen vor. Beim Nazi Amon Göth war es eine zwiespältige Erfahrung, wie er in einem Interview sagt: «Wenn man sich drei Monate lang mit so grauenhaftem Verhalten beschäftigt, dann fühlt sich das schlimm an. Weil man es vielleicht zeitweise geniesst und sich gleichzeitig dadurch beschmutzt fühlt.»
Als schizophrene «Zahnfee» Francis Dolarhyde mit wechselnden Gebissen und perversen Foltermethoden brennt sich Ralph Fiennes in «Red Dragon» (2002) in die Albträume seines Kinopublikums ein.
Eine Rolle, für die er ebenfalls einen persönlichen Preis zahlt: «Wenn du solche Rollen spielst, musst du zu dieser Person werden. Du musst in ihr Hirn eindringen. Das hinterlässt seine Spuren.»
Facetten eines Liebhabers
Fiennes' Vielschichtigkeit zeigt sich im Liebes- und Kriegsepos «The English Patient» (1996). Als ungarischer Graf Laszlo de Almásy wird er durch eine Brandverletzung bis zur Unkenntlichkeit entstellt und deshalb als namenloser «Englischer Patient» im Lazarett gepflegt.
In Rückblenden werden sein Leben und seine tragische Liebe zu einer verheirateten Frau geschildert. Fiennes zeigt die unterschiedlichsten Facetten: der leidende Romantiker, der mysteriöse Europäer und der emotional verkrüppelte Kriegsversehrte.
Der Film gewann neun Oscars, für Fiennes die zweite Oscar-Nomination nach «Schindlers Liste».
Harry wer?
Bei der jüngeren Kinogeneration hat sich Ralph Fiennes als nasenloser Lord Voldemort in den «Harry-Potter»-Filmen zum Lieblingsantagonisten gespielt.
Vor diesem Engagement hatte er von der Dimension des damaligen Potter-Hypes keinen Schimmer. «Meine Schwester, die damals Kinder im Alter von 11 und 12 Jahren hatte, sagte: ‹Was? Du sollst in den Harry-Potter-Filmen spielen? Tu es!›», erzählte Fiennes kürzlich gegenüber der britischen Zeitung «Independent». Er selbst habe gar nicht mitbekommen, wie beliebt die Bücher bei den Kids waren.
In jüngerer Zeit hat Fiennes die komischen Rollen den bösen vorgezogen. Ein Seitenwechsel, den er anscheinend mit Leichtigkeit vollzogen hat.
Sieht man ihn in «The Grand Budapest Hotel» (2014), in «Hail, Caesar» (2016) oder «The King's Man» (2021) könnte man sich fragen: Kann der eigentlich auch böse?