- Der kürzlich verstorbene Seijun Suzuki ist einer der grossen Unangepassten des japanischen Films.
- Inspiriert von den Yakuza-Gangsterfilmen der 1960er-Jahren liess er Brutalo-Szenen wie Balletnummern aussehen und Western wie Pop-Art-Bilder.
- Das NIFFF widmet dem Regisseur mit eingeschworener Fangemeinde eine Retrospektive.
Eigentlich sollte man den Begriff «Kultfilme» nicht mehr verwenden. Aber es gibt sie halt doch: Streifen, die nur einer verschworenen Gemeinschaft bekannt sind, die sich aber umso angeregter darüber austauscht.
Es war in den 1990er-Jahren, als Filmfans im frischgebackenen Internet zugeflüstert bekamen, die Gangsterfilme von Seijun Suzuki aus den 1960ern seien das coolste Ding aus Japan seit Sushi.
Als dann «Tokyo Drifter» (1966) und «Branded to Kill» (1967) erstmals auf DVD erschienen, war der Beweis geliefert: Dieser Mix aus fulminantem Genrekino und Avantgarde, dieser schonungslose Brutalo-Zirkus, in dem Schlägereien, Schiessereien, Autoverfolgungsjagden und Sexszenen wie wilde Ballettnummern inszeniert wurden, war einzigartig.
Knallbunt oder schwarzweiss
«Tokyo Drifter» ist ein elegischer, postmoderner Western in knallbunter Ausleuchtung. Ein lebendig gewordenes Pop-Art-Gemälde, in dem es irgendwann zu schneien beginnt, und in dem der vagabundierende Held die Titelmelodie gleich selbst vor sich hinpfeift.
«Branded to Kill»: Eine surrealistische und nihilistische Farce in expressionistischem Schwarzweiss, in der sich ein Auftragskiller am Duft von heissem Reis aufgeilt. Und in der ein Schmetterling auf einer gezückten Waffe ein unschuldiges Menschenleben fordert.
Schicke Oberfläche, brodelnder Untergrund
Seijun Suzukis Filme sind von einer derartigen sinnlichen Gewalt, dass man sich nur schon an ihrer coolen Oberfläche ergötzen kann: Todschicke Anzüge, Insektenaugen-Sonnenbrillen, pulsierende Jazzmusik und das ewig gleiche ploppige Knallgeräusch, wenn Fausthiebe ausgeteilt werden.
Und unter dieser Oberfläche: Anarchie, Aufruhr, Rebellion. Eine respektlose Moderne, die immer nach vorn blickt, weil sie den Blick auf das traumatisierte Nachkriegs-Japan nicht mehr aushält.
Vom Experiment zum Regelverstoss
Seijun Suzuki ist im Februar 2017 im Alter von 93 Jahren verstorben. Er blickte im Alter prosaischer auf sein eigenes Werk zurück. 1954 war er vom Nikkatsu-Studio angestellt worden, um für ein junges Publikum billige Yakuza-Streifen nach genormten Drehbüchern herunterzukurbeln. «Es war mir langweilig geworden», meinte Suzuki später zu dieser Phase, «daher begann ich herumzupröbeln.»
Die Vorgesetzten der Nikkatsu sahen es freilich gar nicht gern, dass Suzuki die bewährten Formeln des Studios mit persönlichen Flausen aufpeppte. Bloss: Mit jeder Verwarnung wurde der aufmüpfige Regisseur noch dreister, noch abstrakter, noch weltfremder. 1968 war dann Schluss: Die Nikkatsu entliess ihn fristlos, und er sollte nie mehr ein grosses Studio von innen sehen.
Späte Anerkennung
Zehn Jahre lang arbeitete Suzuki ausschliesslich fürs Fernsehen, erst danach gelang es ihm, die Finanzierung von weiteren Spielfilmen sicherzustellen. Sein poetisches Spätwerk in den 1980er-, 1990er- und den Nuller-Jahren erreichte nur noch ein Liebhaberpublikum.
Aber seine alten Nikkatsu-Filme prägten mittlerweile ein ganze neue Generation: Quentin Tarantino, Baz Luhrmann, Johnnie To, John Woo sind alle bekennende Suzuki-Fans.
Zu dieser Kultgemeinde, die die Werke des Meisters zitiert, remixt und detailverliebt analysiert, gehört freilich auch die künstlerische Leiterin des Neuchâtel International Fantastic Film Festivals NIFFF, Anaïs Emery.
Ihr es nun zu verdanken, dass sich diesen Sommer der Kreis der Suzuki-Eingeweihten auch nach seinem Tod nochmals vergrössern wird.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 30.6.17, 17:15 Uhr